23.01.2024

Briefe



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ID: 14090
Geschrieben am: Montag 07.11.1859
 

Düsseldorf, den 7. November 1859.
Zwar hörte ich noch nicht wieder von Dir, lieber Johannes, möchte aber auch nicht darauf warten, sondern Dir heute schon sagen, wie sehr schön ich die mir gesandten Sachen finde. Das Ave Maria in seiner wunderbar ergreifenden Einfachheit muß reizend klingen. Wie lieblich sind die Singstimmen immer umkleidet von zarten Melodien und den kleinen Verzierungen. Herrlich die Unisono-Stelle Sancta Maria mit dem , darauf dann weiter fort die Steigerung ora pro nobis bis wieder zu  und Schluß, der nur ach gar zu schnell kommt. Man ist gleich vom ersten Takte des Stückes an in so eigentümlich wohliger Stimmung, aus der man sich ungern so schnell reißt. Die Stimmung erinnert mich immer an das herrliche Pastorale von Bach, welches wir zuweilen zusammen gespielt haben.
Und nun zum Psalm! Was das Ave Maria lieblich und anmutig, das erscheint mir der Psalm tief und bedeutend. Ich schätze ihn an innerem Werte höher als ersteres, wenngleich in beiden dieselbe begeisterte Hingebung für seinen Text sich wohl herausfühlen läßt. Merkwürdig, wie vollkommen Dir in jedem musikalisch die Stimmung wiederzugeben gelungen, in dem einen der Frieden, im andern das Ringen bis zum endlichen Siege so gewaltig anwachsend. Es ist so schwer, schriftlich jedes einzelne Schöne aufzuzählen, es sieht einem auf dem Papier so nüchtern aus, was persönlich so viel wärmer vom einen zum andern geht, ich kann’s aber immer gar nicht unterlassen, Dir zu sagen, dies und dies ist so schön, so z. B. gleich am Anfang des Psalm’s entzückt mich immer das dritte „Herr“ D dur, dann, wie’s weitergeht, wunderbar „schaue und erhöre mich“ „Erleuchte meine Augen“, das Allegro 6/4 wo’s so kräftig zu den Worten geht, und wieder sanfter wird „mein Herz freuet sich, daß Du so gerne, so gerne (wie schön ist das) hilfst“. Jetzt kommt aber eine der schönsten Stellen, mit den immer wechselnden Stimmen „Ich will dem Herrn singen“ bis zum ganzen Chor. Ach, könnte ich es hören, das und so vieles! Gerade ich, die ich es mehr zu schätzen weiß als alle anderen (Joachim ausgenommen), höre nichts! Die Lieder sind mir auch außerordentlich lieb, gleich das erste: Der Jäger, wo mir besonders die 2. Hälfte sehr gefällt. Im 2. „Ruf zur Maria“ kann ich mir den Klangeffekt nicht so schön denken, wogegen sehr im „Magdalena,“ das ist reizend! Der Alt mit dem Sopran! Die liebsten sind mir aber „Der englische Gruß“ und „Maria’s Kirchgang“, möchte sie aber nicht anders als außerordentlich schön gesungen hören. Die Altstimmen besonders müssen wunderbar schön sein, wenn sie dem inneren Klange entsprechen sollen.
Habe nochmals Dank für die Sachen, waren sie auch nur ein Gruß aus der Ferne!
Ich denke, Du hast nichts dagegen, daß ich sie Hiller zeige, zu dem ich am 9. gehe, um Donnerstag die 9. zu hören. Willst Du ihm dann die Partitur zur Serenade schicken? Er hat nämlich, da das Theater abgebrannt, und die Musiker sonach wenig zu tun haben, wöchentlich zwei Abende zum Studieren und Kenntnisnahme neuer Werke festgesetzt, wo das Komitee nichts damit zu tun hat.
Dort möchte er nur gern die Serenade probieren. Willst Du das? . . . . .
Zwischen dem ersten und diesem Bogen habe ich mich recht abgequält mit dem Hillerschen Capriccio, das recht schwer ist. Ich will ihm doch so gern die Freude machen, es ihm vorzuspielen; manches gefällt mir auch recht gut darin, dann sind aber wieder schaurig häßliche Stellen, die eben so gut von Liszt sein könnten. Ich sagte es ihm neulich, natürlich nicht mit den Worten, aber er nimmt eben alles en bagatelle. Das ist eben das Schlimme! Wo kein Ernst, keine Weihe beim Schaffen, wie soll das andere ergreifen oder nur erwärmen? Mir tut das immer so leid.
Nun, lieber Johannes, sei herzlich gegrüßt, und schreibe bald, recht bald und lieb
Deiner Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Düsseldorf
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Detmold
  Schumann-Briefedition: Serie: III / Band: 5
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Verlagen in West- und Süddeutschland / Editionsleitung: Thomas Synofzik, Michael Heinemann / Herausgeber: Hrosvith Dahmen und Thomas Synofzik / Köln: Verlag Dohr / Erschienen: 2008
ISBN: 978-3-86846-039-1
657-660

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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