23.01.2024

Briefe



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ID: 14087
Geschrieben am: Samstag 16.07.1859 bis: 20.07.1859
 

Kreuznach, den 16. Juli 1859.
Hier endlich finde ich ein ruhiges Stündchen für Dich, lieber Johannes – ich sitze auf einem mit dichtem Laub umrankten Altan und sehe nach der Gans, dem Rothenfelsen etc. hinaus. Manches bewegt mein Inneres dabei, wie Du wohl denken kannst, und, wäre es nicht, weil ich Dir so lange Brief schuldig, ich schriebe hier nicht; ehe ich aber in Wildbad zur Ruhe komme, mögen doch auch noch 5–6 Tage vergehen.
Ich habe Elise zur Kur ihrer Augen wegen hierher gebracht und wollte doch einen Tag bleiben, um sie ein wenig in ihre Tagesordnung einzuführen. Glücklicherweise habe ich eine sehr nette Familie gefunden, wo sie mit 9 anderen jungen Mädchen zusammen ist, und reise morgen weiter, den ersten Tag bis Heidelberg, den 2. nach Wildbad.
Frl. Wagner dort zu finden freut mich, nur fürchte ich, wird sie bald gehen, da sie doch schon länger da ist?
Das Konzert hast Du mir ja nicht geschickt, und nicht die Serenade? Bitte, tue es doch gleich.
In Düsseldorf bin ich viel länger aufgehalten worden, als ich dachte, teils durch Nettchens Krankheit, die endlich mit großer Mühe nach Köln aufs Land geschafft wurde, teils durch meiner Elise Augenleiden, das sie am früheren Reisen hinderte. Ich hatte übrigens die Freude, Bendemanns in Düsseldorf zu treffen, die im Begriff stehen, dahin zu ziehen. Das ist wieder ein Grund mehr, zu bereuen, daß ich von Düsseldorf fortgezogen bin, jetzt hätte ich diese nun dort, die ich beide so lieb habe, während ich in Berlin doch, eigentlich lieb, niemand habe. Ich hoffe übrigens, es wird sich bald so gestalten, daß ich von Berlin fortziehe.
Dein Gesangverein ist ja reizend! Hoffentlich sind recht viel nette Mädchen dabei! Aber nimmst Du keine Männer dazu? Ich denke, es wird Dir, nur Frauengesang, bald monoton werden. Ich möchte wohl Deine Gesänge hören! Wie warst Du befriedigt von den Gesängen mit Orgel, die Du am 9. Juni probiertest? Sind sie nicht sehr schwer? Sangen sie sie schön?
Ich werde doch von so vielen Seiten immer befragt, warum Du gar nichts herausgibst, und weiß es eigentlich nicht recht zu beantworten.
In Detmold recht vieles zu hören freue ich mich sehr, und ist mir die Zeit in der Mitte Oktober ganz recht; schicke nur das Konzert und Serenade.
Wie weit bist Du mit der zweiten Serenade? Fertig? Wieviel Sätze? Willst Du diese nicht auch gleich vierhändig mitschicken?
Der Abschied von London ist mir zu guter Letzt doch noch recht schwer geworden – das großartige Leben in allen Verhältnissen ist doch sehr fesselnd für den Moment; ohne daß man es merkt, gewöhnt man sich, an alles einen größeren Maßstab anzulegen, und lebt so äußerlich freier, freilich im Innern bleibt man unbefriedigt. Der Hauptgrund aber, daß ich schwer von dort ging, war Joachim, und ich fühlte hier wieder recht, wie nahe er meinem Herzen steht. – Ich weiß nicht, ob ich Dir schrieb, daß er im September eine Tour nach Irland mit Goldschmidts unternehmen wird, die 4 bis 6 Wochen dauern soll. Er wird nun wohl nach der Insel Wight gehen. Willst Du ihm nicht einmal schreiben? Schreibe ihm am 24., seinem Geburtstag, das freut ihn gewiß sehr – er tat es doch auch. Er schrieb mir vor einigen Tagen, daß er nun ernstlich ans Arbeiten (ein 3. Konzert) dächte, ich zweifle aber, daß er Ruhe dazu findet.
Hiller habe ich vorgestern auf einen Tag besucht, er spielte mir viel aus Saul, Kanons mit Violine, Solfeggien für 3 Frauenstimmen usw. Von anderen hörte ich, er schreibe wieder an einer großen tragischen Oper! Wenn sie nur nicht für ihn selbst wieder tragisch wird. Mir tut er immer leid, so unermüdlich Fleiß und so wenig Lohn.
Dietrich sprach ich auch in Bonn, er arbeitet furchtbar auf seine Verheiratung los.
Hiller geht damit um, Woldemar für die Stelle zu engagieren, die er Dir geboten. In Barmen hörte ich davon sprechen, daß eine Partei Dich an Reineckes Stelle wollte, die andere aber meinte, Du habest Dich ja nicht gemeldet. Das fehlte noch! – Da wärst Du doch keinesfalls hingegangen?
Wildbad, den 20.
Neulich konnte ich den Brief nicht schließen, nun ist er mit hierher gewandert und liegt hier auch schon zwei Tage. Es hielt so schwer, Logis zu finden, da es plötzlich nach dem Friedens-Beschluß ganz voll hier geworden. Der Ort liegt gar friedlich, etwas melancholisch, rings von schwarz bewaldeten Bergen umgeben, viel Tannen, die den Saum der Berge so schön dunkel erscheinen lassen. Das Tannen-Aroma wird man wohl erst spüren, wenn’s einmal regnet! Die Hitze, die wir auf der Reise ausgestanden, war fürchterlich, namentlich auf der letzten Strecke, 5 Stunden im Omnibus. Bis hier ist noch keine Eisenbahn gedrungen, sie fangen jetzt aber auch schon an – leider! Es will einem hier doch gar nicht in den Kopf.
Frau Schrödter (Du weißt wohl, daß sie nach Karlsruhe ziehen, er ist als Direktor der polytechnischen Schule berufen) bat mich, bei Dir um etwas anzufragen. Du hast ihr doch ein Volkslied gegeben, welches sie so reizend illustriert hat, da es jedoch sehr kurz ist, und sie für die Sammlung von Liedern, welche sie zu machen gesonnen, längere wünscht, so will sie das Deinige als Titelblatt benutzen, bittet nun aber noch um eines innen herein. Sie wagte es nicht recht, Dich darum zu bitten, obgleich ich sie versichern zu können glaubte, daß Du es ihr gern geben würdest. Sie läßt Dich fragen, ob Du ihr zu dem Zwecke „Nachtgesang“ oder „Scheiden“ geben willst? Schreibe mir, welches, dann will ich es ihr abschreiben und schicken, wenn Du nicht vorziehst, es selbst zu tun, was sie natürlich noch mehr freuen wird.
Frl. Wagner hat mich heute besucht, ich schlief aber, und so sah ich sie nicht; bald wird’s wohl aber geschehen – hier entgeht man sich so leicht nicht. Heute habe ich einen Schiedmayerschen Flügel bekommen – noch nie hatte man wohl hier solch ein Ungetüm gesehen.
Die Quelle ist schön! In jedem Bade kommt sie 27 Grad aus der Erde und wirkt eben nur durch die außerordentlich gleichmäßige Wärme – besondere minerale Bestandteile hat sie gar nicht, um so wunderbarer aber erscheint mir die Wirkung. Ich habe heute erst angefangen – könnte ich nur die zu einer glücklichen Kur so nötige heitere Stimmung erlangen! Hilf mir dazu, lieber Johannes, durch einen recht baldigen lieben Brief („Wildbad in Württemberg, bei der Frau Badkassierer Pfleiderer“).
Ich verlange sehr danach.
Grüße herzlich die Deinigen – hoffentlich geht es allen gut. –
Hast Du Herrn Leser einmal besucht? Der soll ja wunderbar eingerichtet sein, allein 8 Gewächshäuser voll der herrlichsten Früchte, Ananas usw., haben.
Wie geht es Frau Petersen? Besuchst Du zuweilen ihre Mittwochabende?
Wie sind Grädeners Gesänge? Was macht Avé? Roberts Grab fand ich wunderschön dicht mit Efeu bewachsen, die ganze Stelle mit den Anlagen recht freundlich – wie gern läge auch ich schon da!
Leb wohl! Bitte, lieber Johannes, schreibe recht bald
Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Absendeort: Kreuznach und Wildbad
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
  Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
627-633

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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