23.01.2024

Briefe



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ID: 14086
Geschrieben am: Sonntag 05.06.1859
 

Camberwell, den 5. Juni 1859.
Endlich finde ich einmal wieder ein ruhiges Stündchen – es sollte nicht so lange werden, lieber Johannes, und wurde es doch.
Es gibt aber auch eigentlich so gar wenig zu berichten, denn wie’s hier zugeht, ist ganz dasselbe wie vor Jahren, wo ich Dir alles ausführlich schrieb; damals konnte ich’s mit Vergnügen tun, denn es war Dir ja neu, jetzt weißt Du’s alles.
Ich war fest entschlossen, am 11. abzureisen, da bot mir aber der Ella noch für den 21. ein Engagement an, und ich entschloß mich, schwer genug, zu bleiben. In Deutschland ist ja doch nicht einmal in Bädern an ein Verdienst zu denken, so will ich wenigstens sehen, daß ich mir hier noch die Badereise usw. verdiene.
Unsere drei Matineen sind nun vorüber, die 2. und 3. waren besser besucht, und das Publikum wurde wirklich warm. . . . . . . Die Matineen brachten jedem von uns dreien 130 Tr. – ist das nicht lumpig? Und wir freuten uns doch, daß es noch etwas war, denn wir hatten auf nichts gerechnet. Ich habe wenig Engagements, doch denke ich, ich werde ein paar hundert Taler übrig behalten; wenig genug ist’s freilich für alle die Opfer.
Ich schrieb Dir schon, daß es Joachim sehr gut geht, er hat furchtbar zu tun, mir tut’s aber weh, solchen Künstler sich so abarbeiten zu sehen, der doch wahrhaftig zu gut dafür ist und nicht wie ich für eine Familie zu sorgen hat. Du hast keinen Begriff, wie der lebt, von früh bis abend Probe, Konzert, Konzert, Probe! So geht’s fort und fort. Jetzt spielte er mit mir im Konzert die Kreuzersonate, kaum hat er den letzten Strich getan, läuft er auch schon wieder fort, dieselbe mit der Godard u. a. zu probieren. Noch kein Konzert, wo er bis Ende bleiben konnte; gespielt, die Geige in den Kasten und fort. Ist es möglich, da den Geist frisch zu erhalten? Ich behaupte nein, sogar das Herz wird stumpf, es bleibt ja kaum mehr Zeit zum Fühlen. Du kannst Dir wohl denken, daß ich unter diesen Umständen Joachim wenig sehe, und ist es, so tut mir’s weh, denn er ist ein anderer hier als in Deutschland; so z. B. waren doch unsere Gesinnungen künstlerisch immer sehr übereinstimmend, hier weichen wir so gänzlich voneinander ab, daß ich jetzt über nichts mehr spreche. Er findet alles schön hier, oft so widersprechend, daß, wenn’s mir jemand von ihm erzählte, so glaubte ich es nicht. Stockhausen ist oft ganz niedergeschlagen darüber, er sagt eben auch, er finde ihn ganz anders hier. Er ist nun sehr intim mit Davison und findet jetzt alles gut, was der gut findet. Mir ist es ein Rätsel. Ich begreife wohl, wie einen Mann, überhaupt wohl einen jeden intelligenten Menschen, London ungeheuer interessieren kann, wie es einen aber ganz blind gegen alle Schattenseiten macht, begreife ich nicht.
Für mich bleibt nun immer das Schönste in England, das Land; daran stärkt und erfrischt man sich; ich könnte so einen Baum, der seine Äste bis auf den Erdboden nach allen Seiten hin ausbreitet, stundenlang betrachten, und eine ganze Welt von Poesie darin finden – es ist wirklich wunderbar herrlich, die Fülle, Üppigkeit, und nun denke Dir ganze stundenlange Parks voll solcher Bäume! Den schönsten aller Parks sah ich zum ersten Male vorgestern in Windsor, und aber auch das schönste aller Schlösser! Beschreiben kann ich’s nicht, wenn Du’s aber siehst, so lebst Du den ganzen Shakespeare durch. Wie fade kommt einem dagegen so ein deutscher Palast vor. Welch ein herrlicher Baustil ist das, die schönen gotischen Fenster, die großen zackigen Türme, alles aus rohem grauem Stein, häufig mit Efeu bewachsen – Du fändest da tagelang nicht heraus. Wenn Du einmal hübsch verdient hast, dann wende es daran, England anzusehen, mit 200 Tlr. kannst Du’s 4 Wochen hier aushalten. Ich möchte aber wohl wissen, wie es Dir künstlerisch behagen würde?
Ich meine immer, ein Künstler mit fester Gesinnung müßte es nicht aushalten können, doch, man irrt sich eben oft.
Neulich hörte ich den Israel in Exeter Hall, manches nahm sich wieder wundervoll, überwältigend aus, doch hat der Direktor Costa die unglückliche Idee gehabt, überall die Trombonen mitgehen zu lassen, so daß man manchmal davonlaufen möchte – wäre nicht die göttliche Orgel, man täte es auch, aber die bannt einen fest, mich wenigstens wie im Zauber. Jetzt wird nun das Händelfest dort vorbereitet – eine Aufführung werde ich wohl auch hören, doch mehr, um das Ganze auf mich wirken zu lassen, als aus Freude an der Musik, die ich im kleineren Lokale viel schöner und klarer genieße. Meine beiden spielenden Hausgenossinnen lassen Dir für Deine schmeichelhaften Grüße danken. Die Busby ist sehr unglücklich darüber, daß Marie mitgekommen ist, läßt es ihr aber in keiner Weise entgelten. Marie hofft hier bald ihre Karriere als Lehrerin zu machen, es freut mich sehr, daß ich sie mitgenommen, sie lernt durch mich alles viel leichter kennen, machte auch Bekanntschaften leichter, spielte mit mir in den Matineen, was sehr gefiel, kurz, ich konnte sie gut einführen. Wäre es meinen Freunden nachgegangen, ich hätte es nicht getan, alle, Preußers, Bendemanns, Freges, auch Joachim, waren dagegen; ich folgte aber meinem Herzen und bereute es nicht. So ist’s denn doch manchmal gut, daß man noch ein Herz hat.
Der Busby geht’s schlecht, sie kann gar nicht aufkommen, und ich glaube, es liegt an ihrer Persönlichkeit, sie hat etwas Altjüngferliches, steif, spitz, und ist doch der ehrenwerteste Charakter dabei.
Die arme Schröder (Bock) ist sehr krank in Dresden – sie leidet an einem unheilbaren Übel. Die Sache hat mich lange traurig beschäftigt; zu meiner Freude aber hörte ich gestern, daß ihr Mann jetzt bei ihr ist. Daß [sic] ist doch schön von ihm! Sie verläßt ihn, und er kommt jetzt, sie zu pflegen.
Die Musikfeste sind nun alle abgesagt – ein rechter Verlust wieder für Stockhausen.
Wie sieht es denn bei Euch aus? Kriegerisch? Hier stört der unglückliche Krieg alles, die Kaufleute hängen die Köpfe; neulich fielen in einer Woche 50 Häuser. Auf Deine Serenade 4händig freue ich mich sehr – wenn ich wieder in Deutschland bin, schickst Du sie mir wohl bald einmal?
Bist Du recht fleißig? Wenn Dir aber Hamburg so langweilig, warum zwingst Du Dich, dort zu bleiben? Wenn Du es nicht Deiner Eltern wegen tust, so sehe ich es nicht ein. Warum willst Du nicht wieder nach Göttingen gehen? Dort hast Du das angenehmste Leben, erfreust alle und lebst billig. Arbeiten kannst Du dort genug auch, wenn Du’s ernstlich willst, das kommt nur auf eine Einrichtung an – der Morgen der Arbeit, der Nachmittag dem anderen. Ich wünschte sehr, Du tätest es, mir tut es leid, muß ich Dich mir da in der Stadt sitzend denken, doch immer mit dem Drange hinaus! Vielleicht fändest Du auch Deinen reizenden Altan dort wieder!
Ich schließe. Du erhältst diesen Brief am 8. –
Einmal herzlich an mich denken wirst Du wohl an diesem Tage!
Leb wohl, lieber Johannes. Schreibe bald und lieb
Deiner
Clara.
Grüße alle Deine Lieben herzlich.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Camberwell
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
618-623

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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