23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 14083
Geschrieben am: Montag 14.03.1859
 

Dresden, den 14. März 1859.
Heute bin ich nun wirklich eine Stunde früher aufgestanden, um Dir, lieber Johannes, endlich schreiben zu können; bis jetzt wartete ich immer auf eine ruhige Stunde, denn so gar kurz wollte ich Dir nicht schreiben, doch hast Du keine Idee, wie sehr ich hier in Anspruch genommen bin! Die vielen teilnehmenden Bekannten, wo jeder einen einmal doch bei sich sehen will, die Konzerte, Proben, die schreckliche Korrespondenz nach allen Seiten hin – ich begreife oft nicht, wie ich es aushalte, dies Leben!
Über mein Leben läßt sich also nichts erzählen, als was ein jedes Virtuosenleben mit sich bringt. Ich wünschte, ich hätte mal anderes zu erzählen. Stockhausen hat jetzt einmal einen Sonnenstrahl in dies Leben geworfen mit seinem Liedergesang, der doch herrlich ist – dabei sein inneres musikalisches Wesen, die Leichtigkeit, mit der er alles vom Blatt singt, das ist doch Wonne!
Heute singt er in Sängers Fluch, Mittwoch geben wir zusammen Konzert. Ich habe gestern einen recht schweren Abend gehabt, und auch heute kämpfe ich mit innigster Betrübnis, daß ich am 24. und 26. nicht bei Euch sein kann!
Stockhausen zeigte mir nämlich einen Brief von Avé, mit Deinen Zeilen darunter, wo Ihr ihn einladet, und da las ich von Eurem Konzert am 26., wo Du die Serenade machen willst. Warum teilst Du mir nun so etwas nicht mit, wo Du doch mein Interesse kennst? Ich habe St. sehr zugeredet, in euerem Konzerte zu singen, will Euch aber im Vertrauen mitteilen, daß er darauf gleich erwiderte: „O ja, wir können ja das Konzert alle drei zusammen geben.“ Er sieht sehr (und wohl mit Recht für seine Verhältnisse) auf Verdienst, daß Ihr’s also wißt, wenn er Umstände machen sollte, es aus Gefälligkeit zu tun.
Warum höre ich denn gar nichts mehr von Dir? Hast Du nicht Zeit so viel mehr als ich?
Bitte, schreibe mir, damit ich endlich wieder einmal von Dir höre. Und, nach dem 24. und 26., werde ich da nichts hören? Nicht einmal etwas Ausführliches? Ist es denn nicht hart genug, daß ich mich immer draußen allein herumschlage, während Ihr in schönstem Vereine alles genießt? Findet sich denn da nicht wenigstens eine ruhige Stunde für mich nach solchen Tagen?
Schreibe mir, bitte, auf dieses hierher. . . . . . . .
Ich gebe am 23. Konzert in Prag, und auch am 27., bin aber am 28. schon wieder hier. Du siehst daraus, daß ich unmöglich nach Hamburg kommen könnte.
Avé schrieb an Stockhausen, Du zögest während Joachims Aufenthalt zu ihm – ist das wahr? Das wäre sehr recht, dann seid Ihr doch immer beisammen – ich suche Euch also mit meinen Gedanken dort.
Habt Ihr aber nicht recht viel Kosten, wenn Ihr Konzerte mit Orchester gebt? Bitte, lieber Johannes, schicke mir die beiden Programms, sage mir auch, ob Ihr schöne Einnahme gehabt? . . . . . .
Wenn Du glaubst, ich sei in Wien so lange geblieben, weil es mir dort so gefiel, da irrst Du sehr! Als ich damals in Brünn, also schon heimwärts auf dem Wege war, da kostete es einen harten Kampf, daß ich zurück ging, aber ich mußte es aus andern Gründen. Vielen Dank habe ich dort allerdings für meine Opfer gehabt, doch was ist Dank und Freundschaft? flüchtig wie ein Hauch! Man muß dies wirklich nur betrachten wie eine momentane Wohltat, die man genießt! Heute jauchzen sie mir zu, morgen dem ärgsten Lumpen. Diese Erfahrung macht der ordentliche Künstler immer, und steht allein mit seiner Kunst, die ihn aber stützt und erhebt. Das hast auch Du erfahren, und wirst es immer wieder durch Dein ganzes Leben hindurch.
Hier bei Bendemanns bin ich sehr liebend aufgenommen, und er ist ein gar prächtiger Künstler. Eine wunderschöne Zeichnung von Robert nach dem Daguerotyp hat er mir gemacht, jetzt macht er die meinige als Seitenstück.
Die Gemäldegalerie habe ich leider erst einmal besuchen können, da haben mich aber meine alten Lieblinge wieder wie festgebannt, Raffael, Correggio, Tizian, Claude Lorain etc. Ich habe mir aber vorgenommen, das nächstemal bei den anderen anzufangen. – Bendemann geht dann mit mir und belehrt mich.
Willst Du mir nicht mit nächstem mitteilen, was ich Dir noch schulde? . . . . .
Dann möchte ich Dich bitten, wenn Du mir könntest bei Gelegenheit Gradus ad Parnassum von Clementi billig beim Antiquar kaufen, ich hätte es so gern für die Kinder und auch für mich. . . . . .
Jetzt sei noch herzlichst gegrüßt, lieber Johannes.
Schreibe bald
Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
601-605

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.