23.01.2024

Briefe



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ID: 14082
Geschrieben am: Mittwoch 16.02.1859
 

Wien, den 16. Februar 1859.
Lieber Johannes,
wieder wurde es länger, als es sollte, es ging mir aber diesmal eigen; als ich die erste Nachricht über den unglücklichen Erfolg Deines Konzerts erhielt, setzte ich mich gleich hin, Dir zu schreiben, ich hatte so ein Gefühl, als müßte Dir ein freundliches Wort wohltun, da bekam ich Angst, Du könntest mir kurz darauf antworten, und das hätte mich gekränkt.
Ich habe aber an der Sache lange zu verwinden gehabt, nicht, als ob die schlechte Aufnahme Dir im geringsten von Deinem künstlerischen hohen Wert rauben könnte, aber es war mir so schmerzlich, zu denken, daß doch ein eisiger Hauch auf Dein warmes Künstlerherz fallen mußte, denn so erhaben ist keiner, daß ihn nicht ein freundliches Empfangen angenehmer berührt, als umgekehrt.
Mir schrieb die Frege von dem entschieden bösen Willen aller, namentlich Rietz’, und ich fürchte, daß Dir dieser schon in den Proben so die Lust benommen, daß Du es auch nicht so gut gespielt hast, als wie Du es gekonnt, denn sonst könnte ich mir die Bemerkung, daß Du technisch dem Werke nicht gewachsen seiest, nicht erklären, denn an so etwas denkt man doch gar nicht, wenn ein Komponist selbst seine Werke spielt.
Du schriebst mir aber, es sei mit dem Orchester sehr gut gegangen – wie anders soll man es nun begreifen, daß es nicht wenigstens die Musiker packte, als daß der böse Wille zu überwiegend war.
Hast Du die Serenade gar nicht probiert? Hättest Du doch diese erst aufgeführt, die hätte alles besiegt, weil sie eben doch klarer.
Was Du mir geschickt, konnte mich nicht ärgern, denn es ist zu elende Schmiererei, so gemein, daß man’s nur verachten muß.
Daß Dir der erste Satz des Konzertes noch immer Not macht, begreife ich – sonderbar, er ist so wundervoll im einzelnen, und doch das Ganze noch nicht erquickend, obgleich begeisternd. Woran liegt es nur? Ich kann’s gar nicht finden. Livia schrieb mir, ihr sei der erste Satz klarer erschienen als das Adagio und Finale – das begreife ich auch nicht.
Wie leid tut es mir, daß ich es gar nicht zu hören bekomme! Es ist nicht wahrscheinlich, daß ich nach Hamburg komme; so wie jetzt alles steht, bin ich sehr wahrscheinlich um diese Zeit in Prag, also noch immer weit genug entfernt – ich muß ja eben jedes Verdienst mitnehmen.
Nun, mit bösem Willen wirst Du dort nicht zu kämpfen haben, mit der Dummheit aber auch.
Daß Dir’s in Deinem Zimmer so gemütlich, freut mich – so bin ich also mit dem Schlafsofa nicht durchgefallen. Wann ich’s aber einmal sehen werde, das weiß der Himmel! –
Ich habe hier furchtbar zu tun, ich arbeite unausgesetzt von früh bis abends, ins Theater komme ich fast gar nicht, weil’s nicht möglich. Den ganzen Vormittag gebe ich Stunden, und nachmittags und abends besorge ich Korrespondenz, studiere, empfange Besuche, und das alles immer in größter Abspannung, denn die Stunden greifen mich furchtbar an, da ich mindestens drei jeden Tag hintereinander geben muß.
Habe ich einen Lohn aber, so ist es der, daß ich entschieden Gutes stifte hier, wo das Lehren auf der niedersten Stufe der Handwerkmäßigkeit steht. Talente gibt es genug. Die meisten meiner Schülerinnen spielen doch z. B. die schwersten Sachen Roberts, op. 13, 17, Kreisleriana, Sonaten usw. . . . . . . . .
In Leipzig soll ich durchaus spielen, habe aber immer so ein Gefühl, als müßte ich es nicht tun, weil sie Dich so schlecht aufgenommen! Verspotte mich nicht darum! –
In meiner nächsten Soiree singt eine vortreffliche Sängerin Dein Es moll-Lied – es ist das erstemal hier öffentlich Eines. . . . . . . .
Ich entschloß mich noch drei Soireen zu geben. In der dritten muß ich auch die Kreisleriana wiederholen, da man von allen Seiten in mich dringt. Du glaubst nicht, wieviel Robert hier gespielt und gesungen wird. Man suchte mich zu bewegen, die drei Soireen nur aus seinen Sachen bestehen zu lassen, doch dazu hätte mich niemand gebracht, ich fände es auch ganz unklug.
Was sagst Du denn zu der unglücklichen Idee der Devrient, zu reisen und Konzerte für ihren Lebensunterhalt zu geben? Sie bat mich, mich mit ihr zu vereinigen, ich schrieb ihr aber sehr offen und beschwor sie, doch nicht wieder in die Öffentlichkeit zu treten . . . . . . .
. . . . . . . . . Mir tut’s schrecklich weh für sie, denn sie entgeht nicht den traurigsten Erfahrungen.
. . . . . . Neulich sah ich „Zähmung einer Widerspenstigen“ – das hat mich außerordentlich entzückt – ich wünschte nur, Du könntest einmal ein solches Stück hier sehen, vortrefflich bis zur kleinsten Rolle!
Nächste Woche hat mir Eckert noch den Fidelio versprochen zum Abschied.
. . . . . . . .
Bitte, schreibe mir bald wieder, und gedenke freundlich und herzlich
Deiner
Clara.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
596-600

  Standort/Quelle:*)
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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