Wiesbaden, den 1. Juli 1858.
Wie sehr, mein lieber Johannes, haben mich Deine Volkslieder erfreut – dürfte ich darüber sprechen, wie mir ums Herz ist! Doch ich fühle immer mehr, wie ich lernen muß, es in Fesseln schlagen. Daß ich es Dir gegenüber auch musikalisch soll, tut mir schrecklich weh, denn eigentlich solltest und müßtest Du wissen, daß nicht blinder Enthusiasmus für Dich aus mir spricht. Kam es nicht vor, daß ich mich durchaus für das eine oder andere von Dir nicht freudig stimmen konnte, und Dir entschieden entgegentrat? tut das blinder Enthusiasmus? und wenn Du gar glaubst, ich wolle den meinigen andern aufdringen, da verkennst Du mich sehr. Ich spreche mich warm aus, wo ich Empfänglichkeit zu finden glaube, was ein weibliches Herz gar leicht herausfühlt, wohingegen Du mir viel zu teuer und zu hoch stehst, als daß ich Deinen Namen Mißliebigen oder kalten Menschen gegenüber nur über die Lippen bringen könnte. Mit solchen wie Grimm, Joachim, Woldemar, Kirchner u. a. da gebe ich meinen Empfindungen den freien warmen Ausdruck, wie er aus vollster Seele kömmt; von denen verlange ich aber auch schnelles Erfassen des Genialen, das Du schaffest und fand es auch bei Allen, nur beim Woldemar etwas langsamer, weil der immer erst ahnet und dann findet. Ich wollte, Du legtest meine Empfindungen edler aus, als Du es oft tust; wer läse was Du mir über meinen Enthusiasmus schreibst, müßte mich für eine äußerst exaltierte Person halten, die ihren Freund als Gott anbetet.
Und warum das? ich zeigte einfach Dein Choral-Vorspiel Herrn Bogler, wir spielten es, und erst, als ich sein Entzücken sah, nannte ich, nicht ohne Wonnegefühl, das muß ich freilich bekennen, Deinen Namen.
Lieber Johannes, Du siehst oder hörst es ja nicht, wenn ich mit andern von Dir spreche, ich tue es wahrhaftig nicht in Exaltation. Daß ich aber oft mächtig erfaßt werde von Deinem reichen Genius, daß Du mir immer erscheinst als einer, auf den der Himmel seine schönsten Gaben herabgeschüttet, daß ich Dich liebe und verehre um so vieles Herrlichen willen – daß das tief Wurzel in meiner Seele gefaßt hat, das ist wahr, liebster Johannes, bemühe Dich nicht, dies durch kaltes Philosophieren in mir zu ertöten – er ist unmöglich.
Es könnte Dir nur gelingen, mich vorsichtiger in meinen Äußerungen gegen Dich zu machen, doch warum willst Du durch Deine Kälte das schöne Vertrauen, das mich alles gegen Dich aussprechen ließ, erschüttern? Du hast es schon getan, denn ich fühle es jetzt bei Gelegenheit der Volkslieder, wie ich nicht rechten Mut habe, Dir mein Entzücken über die meisten derselben auszudrücken! vielleicht geht es das nächste Mal wieder frischer von der Leber weg. Ich studiere jetzt das Konzert ernstlich und kann aber mein Wonnegefühl dabei durchaus nicht herabstimmen, obgleich Deine Vorwürfe mir nicht aus dem Sinne gehen. Sie haben mir so weh getan, wie lange nichts, weil sie eben so ungerecht.
Ich hätte wohl besser getan, darüber zu schweigen, doch war mir das Herz zu voll davon; ich habe mich immer so glücklich geschätzt Dir eine Freundin sein zu können, die Dich versteht und musikalisch wie auch anders Deinen Wert anzuerkennen im Stande ist, und nun Deine Verweise! Du erhältst hierbei Verschiedenes, es ist leider so vieles recht fehlerhaft abgeschrieben. Sieh Dir es aber an, und mach’ ein Kreuzchen an die Stücke, welche ich Dir abschreiben soll, etwa das Stabat mater von Palestrina, den ambrosianischen Gesang usw. (Letzterer wird noch immer in der Sixtinischen Kapelle gesungen.) Tue es ja nicht selbst, Deine Zeit kannst Du besser anwenden. Schicke ja alles so bald als möglich zurück. In den Bachschen Chorälen habe ich schon fleißig gespielt, und sprechen sie mich außerordentlich an; ehe ich große Sachen lesen will, muß ich es doch erst mit einfachern versuchen.
…… Was Du mir wegen Göttingen schriebst, hat mich sehr betrübt; daß Du so ungern daran denkst, dahin zu gehen, ist mir schrecklich; reiste nicht Frl. Werner auf 6–8 Wochen nach Tirol, ich hätte alle meine Pläne umgeändert, doch es geht nicht wegen der Kinder wegen des Badens, wobei ich doch sein muß, da Frl. W. es nicht kann.
Ich wollte Dir aber einen Vorschlag machen, der mir freilich schmerzlich genug ankömmt. Bleibe Du ruhig in Hamburg, wenn Du mächtigen Drang zum Arbeiten fühlst, und ich besuche Dich dann später noch einmal, wenn Du Verlangen nach mir hast. Ich will doch lieber den Schmerz der Trennung ertragen, als Dich in Göttingen mißvergnügt zu sehen über ein tatloses Leben und das um meinetwillen, obgleich ich mich durchaus nicht überzeugen kann, daß Du nicht auch da arbeiten könntest, wenn Du z. B. die Vormittage Dich einschlössest, überhaupt wolltest.
Ich harre wieder sehr eines Briefes, mein Johannes.
Kennte ich doch die Sehnsucht wie Du, süß durchschauernd – mir macht sie nur Schmerz, durchzuckt mir oft mit unaussprechlichem Weh das Herz.
Leb wohl! bleibe gut Deiner
Clara.
Schreibe mir, so oft Du kannst – zur Kur gehört Heiterkeit – wo soll sie herkommen, wenn nicht von Dir?
Ich schicke das Paket extra, das mußt Du auch immer tun. Das letztemal hatte ich wegen des Paketes 10 Tage keinen Brief von Dir.