23.01.2024

Briefe



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ID: 14070
Geschrieben am: Dienstag 05.07.1870
 

Baden-Baden d. 5 July 1870
Lichtenthal 14.
Liebe Marie,
von Herzen erfreut hat mich Ihr liebevolles Gedenken, und vor allem aus Ihrem Briefe zu ersehen, daß es Ihnen gut geht, daß Sie heiter sind und fort und fort die Kunst pflegen, die als mildeste Trösterin uns über das Erdenleid sanft oder doch sanfter als irgend Etwas sonst, hinwegträgt. In ihr und meinen Kindern empfinde ich mehr denn je jetzt Trost und Erholung! |2| Denken Sie, daß ein grausames Geschick mir zum zweiten Male die schwere Prüfung der schrecklichen Geisteskrankheit durch mei¬nen Ludwig auferlegt hat. Derselbe machte mir, wie Sie sich wohl erinnern viele Sorge, ach, wirklich ganz unendliche Sorge, und nun ist die Krankheit bei ihm doch so zum Ausbruch gekommen, daß er zum Dr Lehmann in die Privat-Heil-Anstalt nach Pirna gebracht werden mußte – Professor Hüb¬ner und Dr Hille, der ihn in Dresden behandelt hatte, übernahmen diese traurige Pflicht! ich konnte es nicht, die jungen Geschwister auch nicht. Welche Kämpfe in dem Mutterherzen solch’nem Entschlusse |3| voran gehen, das ist nicht zu beschreiben, ach, und wie Einem das Herz blutet bei dem Gedanken an das Leiden des armen Jungen, das wirklich furcht¬bar sein muß. Der Doctor hat keine Hoffnung – ich hatte schon längst Keine ihn jemals ganz geistig gesund zu sehen, aber daß er so furchtbar leiden muß, das ist entsetzlich! und Nichts können wir thuen, mit keinem Liebesblick seine arme gequälte Seele erquicken. Es gehört eine starke Seelen-Kraft dazu diesem Kummer zu wiederstehen – ich erringe sie mir durch die Liebe und die Kunst. Meine Kinder, die mir Alle so viel Freude machen dürfen unter diesem Geschicke |4| nicht leiden; das beste Theil im Leben, den Vater, und welch einen Vater, verloren sie schon, so muß ich mich Ihnen doppelt erhalten.
Wie lange habe ich Sie, liebe Marie, nicht gesehen, aber das letzte Mal, als ich in Dresden war, blieb ich nur einen Tag dort um Ludwig zu sehen, und mochte Diesem keine Minute mich entziehen in der ohnehin so kurzen Zeit.
Von meinen anderen Kindern kann ich Ihnen, Gott sei Dank, Gutes sagen: Ferdinand ist nun im Geschäfft angestellt, nur leider kommt jetzt das schwere[?] Dienstjahr, Felix ist auf Prima, und ein äußerst begabter Junge, obgleich erst 16 Jahr, so doch schon von |5| einer staunenswerthen Entwicklung des Gemüthes, wie Geistes, und dabei doch kindlich. Wir er¬warten ihn Ende dieser Woche für 4 Wochen, worauf wir uns sehr freuen. Eugenie ist nun bei mir, 18 Jahr alt, hat sich auch sehr zu meiner Freude entwickelt, und hat ein so hübsches musikal Talent, daß sie sich später ’mal, wie Elise in Frankfurth, eine ganz gute Existenz als Lehrerin wird gründen können. Meine Julie schreibt, wenn auch sehnsuchtsvoll nach mir, so doch ganz beglückt von ihrem Manne, der ein durch und durch edler Charakter ist, und sie zärtlich liebt. Im Septbr. erwartet |6| sie ihre Niederkunft, und ist schon in dem Gedanken ganz beseligt. Elise reist nächste Woche auf 5–6 Wochen zu ihr. Welch eine schwere Zeit war auch die, wo ich Julie von mir geben mußte, aber, ich konnte ja hoffen, daß es zu Ihrem Glücke sey, wie es sich dann auch bewährt. Ich möchte Sie könnten ’mal in mein kleines Häuschen sehen! es ist so gemüthlich und < > so hübsch dabei, so recht wie für eine einfache deutsche Künstlerin. Wie oft denke ich, wie glücklich wohl mein Robert hier gewesen wäre! Wir haben hier Alles < > was unser Herz |7| sich wünscht, die herrliche Natur, der schöne Schwarzwald, die saftigen Wiesen allüberall und doch, jede freudige Regung, die in mir aufsteigt wird auch sogleich durch den Kummer zurückgedrängt, es ist mir so schrecklich mich an irgend Etwas zu freuen während mein armer Ludwig den schrecklichsten Seelenleiden preisgegeben ist! –
Von meinem Künstler-Leben im Winter kann ich Ihnen Gutes sa¬gen, ich habe immer viel Anerkennung gefunden, und in England bin ich jetzt ganz heimisch, mit dem Publicum ganz vertraut; sie empfangen mich aber auch stets wie einen Liebling. |8| Nach Dresden kam ich nicht, weil ich das Malheur mit der Hand hatte – ich hatte mir eine Sehne bei dem Ausziehen eines Schubfaches ausgedehnt. Eine scheinbare Klei¬nigkeit, die mich aber um viele Concerte brachte: – ich konnte 7 Wochen nicht spielen.
Bei Frl. Leser war ich jetzt im Frühjahr 4 Wochen – die Arme leidet immer viel – wie wünschte ich, sie hätte etwas von Ihrer Heiterkeit des Gemüthes! freilich ist es ein Unglück, daß sie nicht gelernt, sich mehr beschäfftigen; sie sitzt nun so Jahr aus Jahr ein in ihrer Sofaecke, und nur wenn ich komme, dann wird ihr etwas mehr Abwechslung. Das ist ein schweres Leben! –
Nun habe ich Ihnen erzählt ganz so, als ob ich neben Ihnen, liebe Marie, säße, und Ihren warmen Händedruck fühlte. Ich weiß, daß Sie mir immer dieselbe theilnehmende Freundin sind. Lassen Sie mich zuweilen von sich hören, es freut mich immer von ganzem Herzen. Alles Schö¬ne Ihrer lieben Freundin, und herzliches Umarmen Ihnen v. Ihrer Clara Schum.
Von Marie sagte ich Ihnen nichts. – Sie ist mein höchster Schatz meine beste Freundin!
Ich adressire Dieses nach Glauchau – ich weiß nicht Ihre jetzige Adr. in Dresden?

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Baden-Baden
  Empfänger: Lindeman, Marie von (2605)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 22
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Dresden / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Carlos Lozano Fernandez und Renate Brunner / Dohr / Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-86846-032-2
1237-1241

  Standort/Quelle:*) D-Dl, s: Mscr. Dresd. App. 16, Nr. 47
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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