Baden-Baden d. 23 Septbr. 1865
Liebe Marie,
einige Zeilen des herzlichsten Dankes muß ich Ihnen doch senden, das Sie meiner so lieb gedacht! und gerade zu dem Tage, dem ein recht schwerer, mein 25 jähriger Hochzeitstag, vorangegangen war, das wußten Sie wohl nicht? ich habe schrecklich im Innersten gelitten – ach, das Leben ist doch so gar schwer und einsam ohne ihn, den Herrlichen! Meine Kinder tha¬ten aber Alles, um mich zu erheitern, und bei aller Wehmuth preis ich auch heute das Glück sie zu besitzen.
|2| Wollte ich Ihnen von meinem Leben erzählen, so wäre es freilich mehr, als mir zu schreiben Zeit bleibt, denn ich bin, auch hier, fortwäh¬rend furchtbar in Anspruch genommen. Es sammelt sich immer so Vieles an, wozu ich im Winter nicht komme. Mit den Kindern hatte ich viele Sorgen! mein Ludwig kommt am 1t Octbr. zu einem Buchhändler in Carls¬ruhe in die Lehre, meine Elise etablirt sich zur selben Zeit als Lehrerin in Frankfurt a/m, und Julie wird wohl nach Mannheim zu Freunden den Winter über gehen. Daß man alle solche Beschlüsse nicht im Augenblick faßt, begreifen Sie, namentlich hat mir mein Ludwig viele schlaflose Näch¬te gekostet. |3| Ich erzähle Ihnen das mündlich einmal. Elisens Abschied wird mir schrecklich schwer! das liebe, tüchtige Mädchen – der Himmel schütze sie! Wie schwer ist es seine Kinder in die Welt hinaus ziehen zu lassen, ganz auf sich selbst angewiesen! wie hart ist es, daß ich mir bei aller angestrengten Arbeit, doch nicht so viel verdienen kann, daß ich meine Kinder bei mir behalten könnte, die Töchter wenigstens.
Musik treibe ich erst seit 14 Tagen wieder regelmäßig, vorher gab’s zu viel der Abhaltungen, auch war ich in den ersten zwei Monaten gar sehr ermüdet.
Mein sehr lieber Freund Johannes Brahms war den ganzen Sommer hier in Baden, und durch ihn |4| genoß ich manch schöne Stunde<n>, auch hatten wir die Freude Joachims 14 Tage hier zu haben.
Liebste Marie, ich habe noch eine rechte Bitte an Ihre Freundin: ich habe in Beifolgendem eine Sendung von Wichtigkeit an Herrn Berg¬rath Becker, (Sie kennen gewiß seine Tochter Mme Suel) weiß aber seine Adresse nicht genau, nur, daß er auf dem Räcknitz-Platze vorigen Winter wohnte, Nro 7 oder 4. Wenn Sie mir nun den Gefallen thäten das Päck¬chen durch Jemand an ihn besorgen zu lassen, und sich eine Carte von ihm ausbitten wollten als Beweis, daß es richtig in seine Hände gelangt, und mir gelegentlich ein Wort darüber sagten, aber, bitte, unfrankirt. Den inliegenden Brief an meine Schwester wollen Sie in den Briefkasten wer¬fen lassen.
Wills Gott, so sehe ich Sie nächsten Winter möglicherweise zu eini¬gen Soireen mit Joachim. Seyen Sie mit Ihrer getreuen Freundin herzlich gegrüßt von
Ihrer alt ergebenen
Cl. Schumann.
Ich bleibe hier bis Mitte October.