Wien d. 22 Jan.1856
Liebe Marie,
nur wenig Worte kann ich Ihnen sagen, denn ich bin außerordentlich in Anspruch genommen, also in Kürze erstlich tausend Dank für Ihre freundliche Einladung, die ich wohl zu schätzen weiß Ihren vielen Op¬fern nach, ich habe aber Bendemanns, die mich sehr freundlich einluden, schon zugesagt – dort macht |2| es keinen, bei Ihnen vielen Umstand. Also nochmals herzlichsten Dank! wann ich komme kann ich noch gar nicht bestimmen, denn hier geht’s mir sehr gut, und werde ich wohl länger bleiben, als ich dachte. Ich habe 3 Concerte mit großem Enthusiasmus und so voll gegeben, wie man sich seit 6 Jahren keiner Concerte hier erinnert. Was mir aber die größte Freude, ist, daß Robert zu großer An-erkennung bereits hier gelangt. neulich wurde ein Streichquartett wun¬derschön gespielt, und Scherzo wiederholt – mit großem Beifall. Ich habe schon |3| Mehreres wiederholen müssen, und nächstens werden die B dur Symphonie, Manfred, Genovefa-Ouvertüre mit über 100 Musikern aufgeführt, ohne daß ich irgendwie dazugethan. Nicht wahr, das freut auch Sie?
Mein Vater hatte mich auch dort zu wohnen gebeten, ich hatte aber schon Bendemanns zugesagt.
Ich gebe nun noch Anfangs Februar zwei Concerte, gehe nach Pest und Prag, und komme dann bestimmt nach Dresden.
Wollen Sie mir einmal wieder schreiben, so ist meine |4| Adresse: Spiegelgasse Nro 1102 3ter Stock; wenn ich auch nach Pest gehe, so können doch alle Briefe hierher gehen – ich erhalte sie nachgeschickt.
Ich muß Ihnen schon wieder Adieu sagen – denken Sie, ich muß sogar auch einige Stunden geben, ich wurde nicht losgelassen. Bei der Erzherzogin Sophie habe ich auch gespielt, bei der Kaiserin geschieht’s nie, weil sie Musik durchaus nicht mag.
Und nun, liebe Marie, noch ein Gruß! bald in Wirklichkeit hoffe ich!
Ihre
C. Sch.
[Umschlag]
Ihre Hochwohlgeboren
Frl.
Marie v. Lindemann
Dresden
Am See Nro 23 (a)
1ter Stock.
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