23.01.2024

Briefe



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ID: 13954
Geschrieben am: Donnerstag 14.08.1862
 

Rigi-Kaltbad d. 14 Aug 1862.
Schon früher hätte ich Dir, lieber Johannes, von hier aus geschrieben, ich begann aber gleich nach meiner Ankunft mit einer riesigen Arbeit, die zu beenden ich mir binnen 4 Wochen vorgenommen hatte, nämlich von vier Jahren her das Tagebuch nachzuholen. Dieß hat mich an allem anderen Schreiben gehindert; heute habe ich es aber ’mal bei Seiten gelegt, denn ich möchte gern bald wieder von Dir hören und sehen, was Du Neues nämlich hast und die Var.
Ich spiele hier täglich, da ein ganz leidlicher Flügel oben, und doch Stunden am Tage sich finden, wo ich ungestört bin von vielen Leuten.
|2| Dein Brief traf mich hier, er kam am ersten Morgen meines Hierseins.
Daß Du Dich wegen des Geldes beunruhigt, war unnöthig, ich hatte Dir ja über Mehreres geschrieben was in Deinem Geldbrief zu beantworten, und glaubte daher eine besondere Erwähnung unnöthig.
Hier hab’ ich’s schlimm getroffen. Seit 6 Tagen 5 Grad Wärme, die bis zu höchstens 11 Grad stiegen, ein Regenguß über den anderen oder dicker Nebel, das waren die Rigifreuden; ich wollte schon auf u. davon, da mit einem Male prangte uns heute im vollsten Sonnenglanze die ganze Alpenkette entgegen – nun denkt man natürlich nicht mehr an Fortgehen.
Leider ist es nur furchtbar voll, und man <Mal> vier Mal am Tage auf gemeinschaftlichen Genuß |3| (zum Glück nicht der Natur, sondern nur Essens u. Trinkens) angewiesen. Stockhausen mit Bruder ist oben, Hegar ein Geiger (Stockhausens Guebwiler Concertmeister), und neulich besuchte mich auch zu meiner Freude Kirchner <hier > er blieb nur zwei Tage, kommt aber wieder, und dann bringt er ordentlich Musik mit à 4/m zu spielen. Ich wollte wohl, Du hörtest Den einmal über Deine Sachen sprechen, mit welcher Wärme, und dabei mit welcher Klarheit er ein Jedes beurtheilt, wie es Dir wohl Freude machen müßte zu hören. Seit langer Zeit, sagte er, liege Ihm nur Deine Musik im Sinne und habe er Derselben schon viel glückliche Stunden zu danken. Ich freue mich mit Ungeduld darauf, wenn wir Serenaden u. Sextett zusammen spielen.
Wie ich in Baden entzückt war, kann ich Dir gar nicht genug beschreiben, ich blieb statt zwei, acht Tage, und konnte dann noch |4| schwer fortkommen. Schroedters waren da bei Flemming’s, Viardot’s sah ich täglich, und Diese führten mich an die schönsten Orte. Die Gegend ist der in Wildbad sehr ähnlich nur mannigfacher. Ich liebe so ungeheuer diese düster schweigsamen Tannenwälder. Wie herrlich, wenn dann Abends die untergehende Sonne durchglänzt! Mit Frau Schroedter verbrachte ich einige ruhige Stunden, die mir viel Freude machten, und sie mir immer noch lieber werden ließen.
Nun schließlich die Bitte, schicke mir so bald als möglich, schreibe mir dazu bis wann Du das Neue zurück haben mußt (laß es mir aber nicht kürzer, als nöthig) – Schwierigkeiten mit der Sendung hat es sonst Keine (Steuer giebt es keine mehr in der Schweiz) und schreibe auch sonst, von Dir und was Dich betrifft. Du weisst, das höre ich immer am liebsten, freilich auch am seltendsten! –
Gedenke Deiner getreuen
Clara.
Von Stockhausen und Kindern Grüße.
Rieter war gestern u. heute hier, es sollte mich fast wundern, käme der lange Don Quichotte23 nicht auch noch.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Rigi-Kaltbad
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Hamm bei Hamburg
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
836ff.

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 11016-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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