23.01.2024

Briefe



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ID: 13847
Geschrieben am: Sonntag 09.01.1848
 

Dresden, d. 9 Jan 48.

Liebe Pauline,
Dein Brief betrübte mich, und umsomehr als ich ihn mit größter Sehnsucht erwartet hatte. Ich weiß, Du hast mich lieb, und meinst es gut mit mir, Du thust dies aber auf Kosten meines Mannes, und was ihn betrifft, bin ich am leichtesten zu verletzen! Tadle mich, ihn aber, den Du ja gar nicht kennst, weder als Mensch noch als Künstler, laß unangefochten, willst Du mich nicht kränken. Sieh, l. P. ich will offen zu Dir reden, was ich denke – ich meine, ein Freundschaftsband wird durch Offenheit nur noch fester geknüpft.
Du hast spanisches Blut in Dir, Du liebst die Menschen feurig, glänzend, eben so die Musik, wie kann dir mein Mann, der ächte deutsche tiefdenkende Künstler, der seine ganze Welt in sich trägt, zusagen, wie kannst Du ihn nach seinem Werth schätzen? als Mensch kennst Du ihn ja auch viel zu wenig und wer, wie Du, Meyerbeer für den ersten Komponisten unserer Zeit erklärt, wie können dem meines Mannes Kompositionen zusagen? daß das nicht möglich ist, begreife ich sehr wohl, eben so bin ich überzeugt, daß Du auch Mendelssohn's Werth als Künstler bei weitem nicht hoch genug schätzest, und finde auch das natürlich, so daß es mich auch betrübte, mit dir betreffs musikalischer Ansichten nicht in Allem harmonieren zu können. Du schätzest den Virtuosen über Alles, ich den schaffenden Künstler. Du trachtest (was ich in Deiner Stellung übrigens ganz natürlich finde, obwohl es mir manchmal zu viel scheinen will) nach dem Beifall der Menge, ich zuerst nach der eigenen inneren Befriedigung. So wie Du meinen Mann verkennst, so verkennst Du auch die Deutschen, wenn Du meinst sie haben nur Sinn für das amüsante und brillante – wie würden sonst die Musikverlage ernste Musik so gut bezahlen? meinst Du mein Mann sey so ein armer Schlucker, der den Leuten noch Geld obendrein geben müßte, damit sie nur seine Sachen drucken? o nein, da irrst Du, er bekömmt seine Sachen sehr gut honoriert, und, hat sie meist schon verkauft, ehe er sie ganz vollendet! Das ist nicht Großthun, sondern reine Wahrheit. Ganz ungeheuer Unrecht thust Du aber, wenn Du sagst, er schätze mich nicht genug! seine Liebe ist es ja eben, die mich über Alles beglückt. warum er aber nicht so oft mit mir herumreist Jahr aus Jahr ein, das geschieht aus einer Ansicht von ihm, die mir nur verehrungswürdig erscheint. Und meinst Du, ich schone mich nicht genug, so ist dies allein nur meine Schuld, weil ich bei meinem lebhaften Temperament nicht unthätig sein kann, ich muß immer auf den Füßen sein und was ist denn eine große Anstrengung? daß ich täglich eine, höchstens zwei Stunden gebe? nein, für was bin ich denn eigentlich eine Künstlerin, wenn ich mich mit dem, was ich kann, nicht nützlich machen will? mit Roberts Willen geschieht es nie, daß ich mich anstrenge, besonders in Umständen, wie ich jetzt bin, im Gegentheil, er möchte mich, was ich ihm oft versichere, in einen Rahmen fassen, damit ich mich eben ja nicht anstrenge! Du siehst nun, wie unrecht Du ihm gethan, daher soll er auch weder von Deinem noch meinem Briefe wissen! und wie müßte es ihn auch kränken zu lesen was Du schreibst, daß das ganze Glück meiner Familie auf mir beruhe! nein, das ist, Gott sey Dank, nicht wahr (nicht in dem Sinne wie Du es meinst), denn, was ich ihm und meinen Kindern bis jetzt verdient habe, ist nur ein kleiner, sehr geringer Zuschuß gewesen, und Robert arbeitet von früh bis abend, um nie Jemand auf den Gedanken kommen zu lassen, als ernähre ich die Meinigen. Der Himel wird gewiß sein edles Streben auch in Zukunft segnen, wie er es bis jetzt gethan – die Beweise seiner rastlosen Wirksamkeit liegen genugsam vor. Daß er einige Jahre krank war war eine Prüfung, die er aber auch mit bewundernswürdiger Kraft bestand. Wäre mein Mann auch kein solcher Künstler wie er ist, so wäre er schon ein ausgezeichneter Mensch, seines herrlichen, durchaus noblen Charakters und Zartgefühls halber, wie wenig Menschen es besitzen. Und nun habe ich mein Herz ausgeschüttet, nun ist es gut! lassen wir die ganze Sache ruhen! ich liebe und verehre Dich zu sehr, und halte zu sehr auf Deine Freundschaft und Achtung, darum ließ ich mich so breit aus. Gar nichts hast Du mir von Dir geschrieben, nichts von Hamburg aus, wo Du der Kanieska zweimal schriebst, das ist doch gar nicht freundlich! wie geht es Dir, den Deinigen? wie warst Du in Hamburg zufrieden? wo wohnst Du jetzt? Du schriebst mir keine Adresse? wie stehts mit Thrun, was thut er? Bitte, l. P., laß mich bald Näheres hören! – Mir geht es leidlich bis auf die Angst vor der entscheidenden Stunde, die jetzt immer näher rückt – keinen Augenblick bin ich sicher. Gott
gebe seinen Segen! – Das Schreiben greift mich an, dazu die Aufregung, in die Dein Brief mich versetzt! habe ich Dich in etwas beleidigt, so halte es mir zu Gute, und sey überzeugt, daß Niemand Dich inniger lieben kann als
Deine
Clara Sch.

Deinem lieben Manne
und Kinde 1 000 Grüße! –

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Dresden
  Empfänger: Viardot-Garcia, Pauline, geb. Garcia, Pauline (1623)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 7
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Jenny Lind-Goldschmidt, Wilhelmine Schröder-Devrient, Julius Stockhausen, Pauline Viardot-Garcia und anderen Sängern und Sängerinnen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Jelena Josic, Thomas Synofzik, Anselm Eber und Carlos Lozano Fernandez / Dohr / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-018-6
933 - 936

  Standort/Quelle:*) D-Zsch, s: 6856-A2
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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