23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 13031
Geschrieben am: Mittwoch 25.10.1893
 

Frankfurt a/M d. 25 Oct. 93
Lieber Johannes,
täglich meine schönste Stunde verdanke ich Dir, und muß es Dir doch ’mal sagen, wie ich erst jetzt, wo ich ernsthaft studiere, voll und ganz den Reichthum erkenne, den Du mir in Deinen neuen Stücken wieder geschenkt.
|2| Sie sind mir der einzige musikalische Genuß jetzt. Welche mir die liebsten sind? ich weiß es kaum! Es dur, Es moll wie großartig Beide jedes in anderer Weise. A dur, F dur, G moll, wie wundervoll Jedes! Das A dur mit dem Fis moll Mittelsatz mit den lieblichen Melodie-Verschlingungen, dann der Fis dur Theil in Akkorden, wie so innig, träumerisch; das volksthümliche F dur Stück |3| mit dem so originellen Mittelsatz wieder – ja, wo soll man anfangen? es ist ja ein Reichthum ohne Ende! – Ich soll tadeln, sagst Du mir, das kann ich aber ja nicht, ich könnte höchstens sagen, das fis moll Stück sagte mir weniger zu, dabei ist es ┌doch┐ auch so interressant, daß es Einen fesselt. Könnte ich nur mehr üben, aber zwei mal am Tage eine halbe Stunde, das |4| ist schon das Höchste was ich darf. Die Stücke sind Jedes in seiner Weise schwer, und bin ich immer ungeduldig, daß ich sie noch nicht vollkommen beherrsche. Das Es dur ist sehr schwer, macht mir zu schaffen, ich setze es aber doch durch.
Deine liebe Karte zu meiner Rückkehr hat mich sehr erfreut. Wohl ist es mir wieder sehr behaglich zu Hause, wäre ich nur wohler! ich habe aber, neben dem andauernden Kopfleiden, viel rheumatische |5| Nervenschmerzen, die mir sehr das Daseyn trüben, was mir auch so leid für Marie thut, der ich zwar so wenig als möglich klage, die es mir aber doch ansieht, wenn die Schmerzen gar so peinigend sind. Sie bedarf bei ihren vielen Verpflichtungen alle Frische des Geistes und des Gemüthes, und hat doch so viele Sorgen.
Neues giebt es nicht viel, ich höre auch selten Etwas – die neuen Dirigenten geben |6| natürlich Unterhaltungsstoff. Rottenburg hat neulich die Leonoren-Ouvertüre recht fein aufgeführt, sie entbehrte aber des Feuer, da er in das Extrem, im Verhältniß zu andern Dirigenten, verfällt, und das Tempo zu langsam nimmt. Ich liebe gewiß das Presto in dieser Ouvert. nicht, aber dieses Tempo war mir doch zu viel.
Ich muß schließen, denn nach vierwöchentlicher Arbeit liegen |7| mir noch immer an die Zwanzig Briefe, die wieder mit Briefen beantwortet sein müssen.
Laß mich bald ’mal wieder von Dir hören, lieber Johannes, und nimm den wärmsten Händedruck
Deiner
alten
Clara.
Marie grüßt sehr, Eug. ist in London.

[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
Wien IV.
4 Karlsgasse.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Wien
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2150ff.

  Standort/Quelle:*) D-Hs, s: BRA : Bm2 : 20; Umschlag: A-Wst: 55746,5a
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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