Bern d. 19 Septbr. 93
Lieber Johannes,
noch habe ich Dir nicht gedankt für den reizenden Geburtstagsgruß; wie sind die zwei Stücke wieder so ganz originell, das Zweite mir besonders lieb! leider konnte ich sie nur ein paar mal durchspielen, da das Zimmer, worin das Clavier stand, wenig Sonne hatte, und ich eine heftige Erkältung bekam, so daß ich nicht mehr hinein durfte. Das klingt |2| Dir gewiß recht zimberlich, aber, was ist zu thuen, wenn der Körper nicht mehr will. Es ist recht traurig! wir reisten Sonntag ab, wollten uns Bern ’mal gründlich ansehen, gestern ging es noch, ich konnte auch Widmann’s besuchen, was mir eine Freude war, heute aber liege ich auf dem Sofa mit der Sehnsucht hinaus, wir hatten eine Spatzierfahrt geplant, aber, ich kann mich vor rheumatischen Schmerzen kaum bewegen. Dabei ist das Wetter so herrlich – eine wunderbare Stadt ist das Bern – wir sehen sie |3| vom Hôtel aus vor uns liegen. Und wie reizend wohnt Widmann, wie nett gemüthlich ist’s da im Hause! Sein Stück haben wir mit großem Interresse wiederholt gelesen.
Morgen hoffen wir nach Baden abreisen zu können, obgleich ich die Schweiz mit schwerem Herzen verlasse – wer weiß, ist es nicht das letzte Mal, daß ich hier bin!
Vor allem nun noch ’mal Dank, lieber Johannes, und herzlichste Grüße von uns Dreien!
Deine
alte
Clara.
Wir denken v. 27ten an zu Haus zu sein.
[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
Bad Ischl
Ober Oesterreich.
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