23.01.2024

Briefe



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ID: 12843
Geschrieben am: Samstag 15.08.1891
 

Berchtesgaden Pension Moritz d. 15 Aug. 1891.
Lieber Johannes,
endlich ist es mir gelungen einmal ein ruhiges Stündchen am Clavier (freilich ein sehr mittelmäßiges Pianino) bei Linde’s zu finden, und da hab ich denn, so unvollkommen es auch sein konnte, Wonne genossen in Deinen Gesängen. Sie vereinigen wieder Alles, was man wünschen kann, sind so interressant, jeder Sänger könnte stolz auf seine Stimme |2| sein, so interressant ist er bedacht, und bei all der Geistreichigkeit die Anmuth überall! – Die ersten zwei sind mir nun ganz besonders lieb, das Zweite trotz des 5/4 Tact, der dem Ganzen eine so mystische Färbung giebt. Von den Zigeunerliedern wäre mir das erste am wenigsten sympathisch. Im Zweiten mußte ich mich erst an den 9ten Tact immer gewöhnen, aber ich liebe es doch! und ebenso die 2 Andern. Könnte man sie bald hören! sobald sie erschienen, werde ich Stockhausen daran kriegen, daß er sie gleich einstudirt, – das thut er übrigens von selbst.
|3| So hab’ denn Dank für Deine Sendung, die ich heute zurückgehen lasse mit den beiden Briefen, die mich sehr interressirt haben. Eingeladen bin ich schon vom Herzog und seiner Gattin, die endlich ’mal kennen zu lernen, mir eine große Freude war. Ich habe noch niemals mit hohen Herrschaften so natürlich, unbefangen verkehren können, wie mit Diesen. Ach, könnte ich doch in Meiningen Deine neuen Stücke hören, aber da müßte es mir besser gehen, als jetzt! –
Ich habe nicht den Muth zu dem kleinsten Unternehmen, fortwährend schmerzhafte Zustände, ’mal hier, ’mal da! Den Ursprung weiß ich nicht zu entdecken.
|4| Zu meiner großen Betrübnis kann ich gar nicht gehen, nach 15–20 Minuten bekomme ich die heftigsten Schmerzen. Man sagt mir es sey die Wirkung der Bäder in Franzensb. – ich glaube es nicht, denn sie begannen schon vorher zu mahnen. Doch genug davon, es kann Einem ja Niemand helfen. Wenn ich nur der armen Marie das Leben nicht so schwer machte, die kaum einen Augenblick vorübergehen läßt, ohne Sorgfalt für mich. Welch ein Glück, daß ich die Töchter habe, aber ich flehe den Himmel, daß er ihnen durch mich nicht zu viel auferlegt! –
Sehr erfreut bin ich zu lesen, daß der Herzog |5| von Meiningen bei Hildebrandt eine Statue bestellt hat. Wie wird Hild. das freuen. In München haben wir mit Entzücken den Entwurf (in Lebensgröße) des Brunnens gesehen, der eine Zierde Münchens werden wird.
Hildeb. ist so begeistert bei seiner Arbeit, daß es eine wahre Freude ist ihn zu sehen.
Wir gehen nun am 31 Aug. hinunter nach Berchtesg. bleiben da bis ohngefähr 8ten ┌Sept.┐, gehen dann <d> 3 Tage n. München und am 11ten Sept. nach Haus. Ich will diesmal meinen Unterricht früher beginnen, um im Frühjahr (Ostern) etwa einen Monat fort zu können, wenn es meine |6| Gesundheit erlaubt.
Der Herzogenberg geht es viel besser – wie mich das freut! ihr Arzt, der jetzt hier ist, hat ausgesprochen, daß sie eine Zeit lang so schlecht war, daß sie dem Tode nahe war. Ich weiß nicht, ob nicht der furchtbare Ehrgeiz der Frau schadet, sie in immerwährender Aufregung erhält.
Nun leb wohl! Habe nochmals Dank, und laß bald ’mal wieder von Dir hören
Deine
alte
Clara.
Marie grüßt bestens. Eug. ist im Canton Valois, Hôtel Mayens bei Sitten.

[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
in
Bad
Ischl
Oestreich.

Für den Brief v. R. Sch. vielen Dank.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
Absendeort: Vordereck/Obersalzberg
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Ischl
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
2020-2024

  Standort/Quelle:*) CH-Bps, s: Sammlung Rudolf Grumbacher; Umschlag: A-Wst: 55746,69a
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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