23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 12483
Geschrieben am: Donnerstag 04.07.1889 bis: 05.07.1889
 

Frankfurt a./M., den 4. Juli 1889.
Lieber Johannes,
Dir meine schönsten Glückwünsche zu senden, will ich nicht länger aufschieben, einen etwas ausführlicheren Brief muß ich mir vorbehalten, bis ich nach Franzensbad komme, denn ich stecke hier in so wenig angenehmen Arbeiten und Korrespondenzen, daß es mir nicht möglich ist, eine Mußestunde zu finden, wo ich so recht mit Animos schreiben könnte.
Ich will Dir daher nur sagen, daß wir am 10. oder 11. d. M. nach Franzensbad abreisen, Mitte August nach Vordereck, und in der 2. Woche Septembers nach Baden gehen. Wo werden wir Dich wohl sehen? Herzogenbergs gehen nicht in die Liselei, weil alle Freunde so sehr abgeraten haben, der Feuchtigkeit halber, die drei Schwestern Keller werden diese wieder bewohnen; Herzogenberg glaubt aber sicher, wieder eine Stelle in Berlin einnehmen zu können. Ich finde den Gedanken nicht glücklich, ich glaube nicht, daß er es aushält, auch nähme ich an seiner Stelle in diesem Zustande, der eben doch ein jammervoller anzusehen ist, keinen öffentlichen Wirkungskreis wieder an. Er kann gehen, geht mit größter Energie stundenlang, läßt sich täglich massieren, was ihn furchtbar angreift, aber die Bewegungen beim Gehen sind furchtbar, und dann kann er das Genick nicht frei bewegen – er ist eben doch ein gebrochener Mann. Was ihn nach Berlin treibt, sind seine Kompositionen; er sagt, er muß sie hören, und das könne er in Italien z. B., wo er des Klimas halber eigentlich leben sollte, nicht haben. Ob er es aber in der Folge in Deutschland hat? Das möchte man fragen? Ihn aber kann man es doch nicht. Ich hatte in letzter Zeit keine Nachricht, hörte aber, daß Herzogenbergs nach Reichenhall gehen würden, und dort hoffe ich sie denn von Franzensbad aus auf der Reise nach Vordereck zu sehen.
Hier ist’s still, alles fort – ich freue mich, wenn auch wir aus all den Miseren des Hauses heraus sind. –
Wo werden wir Dich sehen?
Den 5.
Ich ließ den Brief liegen, benutze nun doch eine halbe Stunde heute, Dir weiteres zu schreiben. In bezug auf Italien, das nun schon wieder um Monate hinter uns liegt, kann ich Dir doch sagen, daß ich gar gern, an Florenz besonders, zurückdenke. Leider war ich ja sehr durch körperliches Leiden gehindert, konnte keine 5 Minuten vor einem Bilde stehen, Hildebrandt erleichterte mir es aber auf die liebenswürdigste Weise; er führte uns überall gleich an die bedeutendsten Kunstwerke und trug mir immer ein Sesselchen nach. Seine Häuslichkeit kennen gelernt zu haben (sie hat etwas Ideales) ist mir mit die schönste Erinnerung. Ich habe mir von Florenz einige schöne Madonnen mitgebracht und sie aufgestellt, so daß ich täglich an die Originale erinnert werde. Es war sehr dumm, daß wir erst an die Riviera gingen, andremal geht’s gleich auf Florenz los. Ich ging eigentlich in der Idee nach der Riviera, einen fatalen Husten, der mich morgens und abends besonders quälte, schnell loszuwerden, aber es war immer so windig, daß mir die Luft gar nichts half, erst jetzt die anhaltende Hitze. So einen Sommer kann ich mich nicht erinnern erlebt zu haben.
Die Ehrenbezeigungen, die Du erhieltest, haben mich herzlich erfreut, die mit dem Ehrenbürgerrecht in Hamburg verstehe ich aber nicht. Du bist ja doch von rechtswegen Bürger von Hamburg? Der Orden als „nur Dir verliehen“ freut mich auch. Für Deinen Vater wäre die Freude groß gewesen, hätte er sie doch erlebt! Du hast aber recht, er hat viel Freuden ohne dieses erlebt, Freuden, die keine äußeren Ehren aufwiegen.
Der Jansen beunruhigt mich wieder ’mal mit Briefen. Er will die gesammelten Schriften von Robert nun mit Vorrede herausgeben, sagt, es seien so viele Fehler in den Schriften, woraus man folgern müsse, daß Robert sie nicht in der Korrektur durchgesehen habe. Ich bin so müde von all den Ansprüchen der Biographen, z. B. auch Wiecks, daß ich ihm am liebsten sagte, er solle mich nicht mit solchen Sachen beunruhigen. Und es beunruhigt mich doch auch wieder, ihm entschieden alle Hilfe zu versagen, als ich nicht verstehe, ob seine Forderung am Ende doch berechtigt ist? – Willst Du mir die Liebe tun, den langen Brief einmal lesen, und mir Deine Meinung mit Rücksendung des Briefes sagen? Es ist sehr langweilig für Dich, aber, bitte, tue es, wenn Du ausruhest – dafür ist Langeweile manchmal recht gut. Ich schicke den Brief der Sicherheit halber extra. Adressiere nach Franzensbad bei Dr. Loimann in den 3 Lilien.
Und nun zum Schluß, denn aus wenig Worten ist nun dieser lange Brief geworden, wo doch so wenig drinnen steht. Ich habe den Kopf so voll schwerer und ernster Gedanken, daß Du schon Nachsicht üben mußt mit
Deiner
altgetreuen
Clara.
Die Kinder grüßen, Eugenie geht nach Basel und an die Mayence mit Fillu, der es in London doch über alles Erwarten gut gegangen ist, und für die ich dort eine dauernde Existenz nun hoffe.

[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
aus Wien
jetzt in
Ischl
Salzkammergut.
Frei.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Frankfurt am Main
  Empfänger: Brahms, Johannes (246)
Empfangsort: Ischl
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 3
Briefwechsel Robert und Clara Schumanns mit Johannes Brahms und seinen Eltern / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2022
ISBN: 978-3-86846-014-8
1905-1909

  Standort/Quelle:*) Umschlag: A-Wst: 55746,30b
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



Wir verwenden Cookies, um Ihnen den bestmöglichen Service zu gewährleisten (Mehr Informationen).
Wenn Sie auf unserer Seite weitersurfen, stimmen Sie bitte der Cookie-Nutzung zu. Ich stimme zu.