Frankfurt, den 24. April 1887.
Lieber Johannes,
ich komme etwas verspätet mit meiner Antwort, vielleicht trifft sie Dich aber doch noch in Wien.
Ich erhielt Deine freundliche Sendung vor vier Tagen und mit derselben zugleich eine Nachricht, die uns wahrhaft erschreckte und |2| all die Tage keinen Augenblick zu innerer Ruhe kommen ließ.
Elise war mit all ihren Kindern zur Großmutter (des Mannes Mutter) ┌nach Zürich┐ gereist, um sie zu überraschen, ihr Mann natürlich mit; dort wurde ihr einziges Töchterchen, 4 Jahr alt, ein liebliches, begabtes Kind an Diphteritis krank, und starb vorgestern. Zehn Tage hatten sie das Kind selbst gepflegt, geschehen war Alles, was möglich. Wie |3| mein Schwiegersohn es tragen wird, ich weiß es nicht! Elise wird kräftiger sein. Könnten wir ihnen nur Etwas sein, nun sind sie aber so weit fort, und doch so fassungslos daß wir noch kein Wort direct hatten, nur wissen daß heute der Begräbnißtag ist. Ach, welchem Wiedersehen gehen wir entgegen – die armen Eltern! –
Ich weiß Du nimmst Antheil und verzeihst auch den verspäteten |4| Dank für die Briefe und das Manuskript, was ich gerne annehme.
Natürlich bitte ich auch um die anderen Briefe, zugleich aber auch, daß Du mir die Deinigen noch etwas lässest, sie sind bei mir ja in sicheren Händen, und sollte ich plötzlich sterben, so erhältst Du sie sofort von den Kindern.
Indem ich Dir eine schöne Reise und in jeder Hinsicht ersprießlichen Sommer in Thun wünsche, bin ich mit herzlichem Gruße
Deine
Clara.
[Umschlag]
Herrn
Dr Johannes Brahms.
Wien IV
4 Karlsgasse
|2| Sollte Herr Dr Brahms abgereist sein
so wird gebeten diesen Brief zu
Weiterbeförderung abzugeben
bei: Frau Dr Anna Franz
Wien I, Elisabethstr. 8.
"Lieber Johannes"
"...Elise war mit all ihren Kindern zur Großmutter ... nach Zürich gereist ... ihr Mann natürlich mit; dort wurde ihr einziges Töchterchen, 4 Jahr alt, ein liebliches, begabtes Kind an Diphteritis krank und starb vorgestern ... Wie mein Schwiegersohn es tragen wird, ich weiß es nicht! Elise wird kräftiger sein. Könnten wir ihnen nur Etwas sein, nun sind sie aber so weit fort, und doch so fassungslos daß wir noch kein Wort direct hatten ...
Ich weiß, Du nimmt Antheil, und verzeihst auch den verspäteten Dank für die Briefe und das Manuscript, was ich gern annehme. Natürlich bitte ich auch um die anderen Briefe, zugleich aber auch, daß Du mir die Deinigen noch etwas lässest, sie sind bei mir ja in sicheren Händen, und sollte ich plötzlich sterben, so erhältst Du sie sofort von den Kindern ..."
"Clara"
[Kat. Stargardt Nr. 622: 25.02.1981, S. 241, Los 793 (gek.)]