23.01.2024

Briefe



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ID: 11536
Geschrieben am: Donnerstag 27.07.1865
 

Baden d. 27 July 1865.

Lichtenthal 14.
Verehrtester Herr,
wieder einmal nehme ich Ihre Güte in Betreff meines Sohnes in Anspruch, und bitte Sie deshalb um Entschuldigung. Ich weiß Ihre freundliche Gesinnung für mich, wird Sie Diese leicht finden lassen.
Mein Sohn, eine durchaus träumerische Natur, vortrefflich von Character, ist leider für’s Leben der |2| unpractischste Mensch, den man sich denken kann; ich habe daher vor’m Jahre (ich schrieb Ihnen damals auch seinetwegen), als er sich erklärte aufs Polytechnikum gehen zu wollen, mit größtem Widerwillen zugegeben, daß er auf die hohe Bürgerschule, als Vorbereitung für das Polytechnikum, ging. Wie ich voraus gesehen, so kam er, namentlich in der Mathematik, gar nicht mit fort, und erklärt mir nun jetzt, er wolle Buchhändler werden, da könne er bald etwas verdienen, und – recht viel schöne Bücher lesen! Sie sehen hieraus wie |3| kindlich der Junge, trotz seiner 17 Jahre, noch in’s Leben schaut. Natürlich ist an eine Einwilligung meinerseits dazu nicht zu denken, ehe er nicht erst einige Jahre noch gelernt und seine Kenntnisse bereichert hat. Da er für die alten Sprachen kein Interresse zeigt, für’s Gymnasium nun auch schon zu alt ist, so soll er eine gute Realschule besuchen, und, da ich so sehr wünsche ihn in meiner Nähe zu behalten, so möchte ich ihn nach Stuttgart geben; wo, wie ich höre, eine sehr gute Real-Schule.
|4| Meine Bitte an Sie, verehrtester Herr Doctor, wäre nun, mir zu sagen, ob dem so ist? und, ob Sie vielleicht eine einfach bürgerliche Familie kennen, die meinen Jungen bei sich aufnähme? ich würde mich nicht entschließen können ihn selbständig wohnen zu lassen, da er eben seiner träumerischen Natur halber noch einer gewissen Aufsicht, sowohl in der Eintheilung seiner Arbeitsstunden als auch der äußeren Haltung bedarf, und namentlich auch einer liebevollen, aber zugleich gegen ihn entschiedenen, Umgebung. |5| Er muß eben an Alles erinnert werden und besonders streng zu körperlicher Bewegung angehalten. Seines zerstreuten Wesens <halber> und der etwas schweren Sprechweise halber auch von seinen Lehrern in der Schule mit etwas Nachsicht behandelt werden. Können Sie mir mit Rath und That beistehen? Sie können denken, wie schwer diese Sorge auf mir lastet! Bitte, geben Sie mir bald eine Antwort, und sagen Sie mir, wie es Ihnen und Ihrer lieben Frau geht?, werde ich Sie nicht ’mal |6| diesen Sommer hier sehen? vorigen Winter war mein Kommen nach Stuttgart so nahe, zerschlug sich aber die Concert-Angelegenheit plötzlich zu meinem großen Leidwesen.
Sie erwarten wohl auch nächstens der lieben Szarvady’s Besuch? ich hoffe sie auch hier zu sehen – vielleicht kommen Sie Beide dann mit? das wäre gar schön! –
Nehmen Sie und Ihre liebe Frau meine herzlichen Grüße und haben Sie freundliche Nachsicht mit
Ihrer
wahrhaft ergeb
Clara Schumann.

  Absender: Schumann, Clara, geb Wieck, Clara (3179)
  Absendeort: Lichtental
  Empfänger: Hartmann, Moritz (623)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 4
Briefwechsel Clara Schumanns mit Maria und Richard Fellinger, Anna Franz geb. Wittgenstein, Max Kalbeck und anderen Korrespondenten in Österreich / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Anselm Eber und Thomas Synofzik / Dohr / Erschienen: 2020
ISBN: 978-3-86846-015-5
543ff

  Standort/Quelle:*) A-Wst, s: H.I.N. 47655
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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