23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 5992
Geschrieben am: Sonntag 13.05.1838
 

Wien am 13ten May 838
Werther Herr und Freund!
Ihren lieben Brief erhielt ich gestern u. bedauere, Ihnen melden zu müssen, daß ich über Ihre Composition jezt nicht mit Haslinger sprechen kann, indem meine harmlose Correspondenz mit den kurzen, prismatischen Vergleichungen meinem Feinde, Baron Lannoy Stoff zu einer heftigen, perfiden u. partheyischen Diatribe in der Theaterzeitung v. 12ten d. M. gegeben. Wie gemein u. roh sein Angriff, wie verdrehend u. inconsequent (da er als Körnbauer Sachen behauptete, die er jezt angreift) seine Argumentation ist, wenn ich dieses Machwerk so nennen darf, werden Sie am beßten selbst entnehmen, wenn Sie das Blatt zum Lesen sich verschaffen werden. Lannoy ist mir nicht nur der Wieck wegen feind, sondern auch deßhalb, weil ich am Conservatorio angestellt bin, v. welchem er als Honorardirector eliminirt wurde u. das er seither auf jede mögliche Weise verfolgt. Ich bitte Sie daher, da Sie auch dabei angegriffen sind, folgende ruhige Bemerkung so bald als möglich zu machen: Der heftige Angriff auf eine harmlose <Korrespo> Privatkorrespondenz wundere Sie um so mehr, als dabey u. zwar in dem in der Theaterzeitung nicht abgedruckten Vorberichte eine enthusiastische Anerkennung Liszt’s grandiösem Talente sich vorfindet, daß dabey die Rubriken: den Character des Tonstückes gebend, ohne Einfluß der Individualität u. nach dem Metronom spielend ironisch zu nehmen waren, <sollte> hätte wohl in Wien <bey> nach der bekannten Streitigkeit der Beethovenschen F moll Sonate leicht <dafür genommen> verstanden werden sollen. Chopins Anwesenheit fand vor 8 |2| Jahren Statt, mithin hat der Correspondent, wenn er seine Ideen über die 4 größten Pianisten, die er so oft u. kurz nach einander gehört, mittheilt, denselben nicht absichtlich vergeßen. Diese Worte schützen ihn ebenfalls vor jeder Dictatur, die er sich anmaßen hätte sollen. etc. etc.
Schicken Sie mir sogleich im Abschnitte diese paar Zeilen gedruckt, nebst dem Datum des Blattes, so werde ich es in mehre hiesige Blätter einrücken lassen, weil man mir abrieth, mich, der ich eigentlich nicht genannt bin, hiebey einzumischen.
Thun Sie mir doch diese Freundschaft bald, denn auch als Redacteur können Sie meine Ansicht vertreten, die ich, so flüchtig ich Sie [sic] niederschrieb, noch ganz eben so fühle, obgleich ich Liszt doch viel öfter hörte u. bewunderte.
Ich will mit Diabelli Ihrer Komposition wegen reden, der Ihnen jezt freundlich gesinnt ist. Liszt ist von Haslinger’s Clique ganz umnetzt, er thut was sie wollen, spielt Ihnen Kessler’s Etuden, Scarlattische Fugen, weil Sie [sic] Haslinger erscheinen läßt, besonders aber Hh Lannoy u. Holz als seine Bedienten, die ihm seine Conzerte veranstalten. – Clara war auf einen Tag hier, um Thalberg zu hören, v. dem sie ganz entzückt ist. Th. beklagt sich sehr über Henselt, daß er gar so vieles gestohlen, ich meine geistiges.
Notitzen
Im 4ten am 8ten May statt gehabten u. ungemein zahlreich besucht gewesenen Concert spielte der gigantische Liszt
1. Reminiscenses de la Juive
2. Neue Etuden v. Chopin Nro 1 (As) Nro 2 (<G>F m)
– – Moscheles Nro 15 (As) im 2ten Theil
— dto – 11 (Es) im 1ten Theil
Letztre bis
3. Hexameron, Bravour Variationen über den Puritanermarsch, componirt v. Chopin, Czerny, Herz, Liszt, Pixis u. Thalberg u. zwar dieselben in folgender Ordnung: Introduction v. Liszt, 1te Var. v. Thalberg (gefiel ausnehmend) 2 Var. v. Liszt, 3 Var. v. Pixis, 4 Var. v. Herz |3| 5te Variat. v. Czerny (blieb aus) 6t Andante v. Chopin, Finale v. Liszt.
Schon beym Thema brach das Publikum in Jubel aus, als er die Triolenfigur im Baße mit Octaven im schnellen Tempo nahm, was eine colossale Wirkung hervorbrachte.
Man kann sich keinen größern Enthusiasmus denken, u. Liszt wird hier wahrhaft vergöttert. Der Eindruck ist noch immer im Steigen begriffen, man kann ihn nicht genug hören u. trotz der hohen Eintrittspreise u. der der Sperrsitze (3 fl. C. M.) sind selbe immer lange vor dem Concerte vergriffen.
Am 14ten spielt er.
1. Sonate in Cis moll v. Beethov.
2. Etude (Andante in As) v. Kessler
Fuga (in E moll) v. Händel
Octavenetude v. Kessler
Katzenfuge v. Scarlatti
u. 3. auf Verlangen das Hexameron.
_______
Am 13ten May führte die Gesellschaft der Musikfreunde in ihrem 4ten Concerte auf:
Ouv. zu Coriolan
Marsch mit Chor aus den Ruinen v. Athen v. Beethoven
nebst dessen Musik zu
Egmont<’>, Tragödie v. Göthe, durch Deklamation verbunden u. erklärt.
34.
Mit Vergnügen bin ich bereit, an Thalberg v. Ihnen etwas abzugeben, was er gewiß mit vielem Vergnügen annehmen wird. er geht im 8ber v. hier nach Dresden, Leipzig Berlin, Jänner in Warschau, Februar u. März in Petersburg u. May kommenden Jahres wieder zur Saison nach London. Er schreibt eine Fantaisie über Donna del lago, u. die Zauberflöte, alle seine musickalischen Vorräthe wird er nach vollbrachter Reise in Rußland herausgeben.
Es küßt Sie herzlich Ihr ergebenster
Fischhof
Am 15ten d. M. giebt Fräul. Angelica Lacy ein Concerte im Augustensaale in welchem selbe mehre Piecen singen, u. Liszt sein Arrangement des Schubert’schen Ständchens so wie seine Valse de bravour spielen wird.
|4| Sr Wohlgeboren
Herrn Robert Schumann
Redacteur der neuen Leipziger
mus. Zeitschrift
Leipzig

  Absender: Fischhof, Joseph (38700)
  Absendeort: Wien
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort: Leipzig
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 27
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Österreich, Ungarn und Böhmen / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Klaus Martin Kopitz, Michael Heinemann, Anselm Eber, Jelena Josic, Carlos Lozano Fernandez und Thomas Synofzik / Verlag Christoph Dohr Köln / Erschienen: 2023
ISBN: 978-3-86846-052-0
461-466

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 7 Nr. 955
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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