23.01.2024

Briefe



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ID: 4308
Geschrieben am: Dienstag 03.01.1854
 

Görlitz am 3 Jan. 1854.
Hochverehrtester Herr Doctor.
Als Dresden noch so stolz sein durfte, den größten Tondichter uns¬rer Zeit, unsern Robert Schumann zu besitzen, da kam eines Tags ein Mensch vom Hoftheater, ließ sich anmelden und hatte das Glück dem Meister, zwei seiner Geistesprodukte, die Grenadiere und Bass-Solosatz aus der himmlischen Peri vorsingen zu dürfen. Dieser Mensch heißt Weiß, ist derselbe der Ihnen diese Zeilen schickt und Ihnen ein glückliches Neujahr aus tiefster Seele wünscht. Den Grund, warum ich Ihnen schrei¬be, gab mir eine kleine Bühnendichtung, welche mir die junge Dichterin, eine nahe Verwandte von mir, zuschickte. Dieses kleine Stück, das ich so frei bin Ihnen zuzuschicken, scheint mir nicht wenig geeignet melo¬dramatisch bearbeitet werden zu können. Ich bin überzeugt, daß außer Ihnen Niemand existirt, der Worten einen höhern Werth verleihen kann durch musikalische Beseelung. Eine Ouverture, mehrere Reden der Iduma [sic] musikalisch durchflochten, Idumas Tod und Wiederaufleben durch <Harmnl> ┌Harmonieen┐ aus Ihrem Tonreiche verherrlicht, müßten si¬cher einen großen Effekt auf der Bühne hervorbringen.
Als ich das kleine Stück las, haben Sie fortwährend meiner Seele vorgeschwebt und ich faßte sogleich den Entschluß, es Ihrer gütigen Beurtheilung anheimzustellen. Ich werde der Dichterin darüber eine Mitthei¬lung machen und wenn es Ihre Zeit erlaubt, so würden Sie mir durch eine kurze Antwort eine unbeschreibliche Freude machen.
|2| Um mich praktisch auszubilden habe ich Dresden, wo ich zu wenig Beschäftigung hatte, verlassen und bin bis zum 1 April erster Bassist in Goerlitz, und die Kritik sagt, ich sei der Liebling des Publikums. Meine Absicht ist Routine und Partienlernen.
Wie es Ihnen geht? Hochverehrtester Herr Doctor. Gut! denn der Quell Ihrer Productivität strömt unaufhaltsam. Wie es uns geht? Gut! Wir genießen Ihre vortrefflichen Geisteserzeugnisse. In Dresden wurde bei dem jungen Richard Pohl aus Leipzig häufig musicirt und niemals war Robert Schumann fern. In Görlitz hier haben Sie die gebildesten [sic] Leu¬te zu Verehrern. Bei dem Herrn Doctor medicin. Schnieber, ein guter Klavierspieler und herrlicher Mensch, höre ich Alles Neue von Robert Schumann. Ein Lieutenant Namens: Baumeister spielt gut Klavier und betet Sie mit uns an. Da müssen Ihnen sicherlich wöchentlich einigemal die Ohren klingen.
Ihre „Grenadiere“ „Schatzgräber; Blondels Lied; Belsatzar; die Lö¬wenbraut; Dichters Genesung; die Kartenlegerin; die rote Hanne etc.“ haben mir schon manchen Beifall erworben. Ich singe diese Composi¬tionen für mein Leben gern, weil sie voller Geist und Leben sind. Ich weiß übrigens wer Ihre Lieder auch gern und gut singt: Fräulein Jacobi in Dresden und deshalb habe ich das Mädchen so lieb. In Familien wo gemeyerbeert, geflotowt oder italienisch genudelt wird singe ich nie, son¬dern esse und trinke nach Möglichkeit. Wo man nicht Beethoven, Franz Schubert und Robert Schumann liebt, wird nicht gesungen. <m>Muß man doch schon im Theater in der Brodbude, gegen seine Ueberzeugung singen.
|3| Es ist ein Elend ein Mensch sein zu müssen. Elender ein Deutscher und am elendsten ein Sänger sein zu müssen. Denn denken Sie sich nur ei¬nen deutsch denkenden Menschen, der hirnlose italienische Musik jodeln soll. Mit Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens, aber das verderb¬lichste ist Unnationalität „der Deutschen“.
Schließlich empfehle ich mich Ihrer Frau Gemahlin und wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein recht glückliches Neujahr. In der Hoffnung, daß Sie meine Zeilen nicht übel aufnehmen, bleibe ich in größter Hoch¬achtung
Ihr
ergebenster
Fritz Weiß.
Sänger am Stadttheater in Görlitz

  Absender: Weiß, Fritz (1682)
  Absendeort: Görlitz
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 22
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Dresden / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Carlos Lozano Fernandez und Renate Brunner / Dohr / Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-86846-032-2
1367-1369

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 26/2 Nr. 172
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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