23.01.2024

Briefe



Rückwärts
	
ID: 2916
Geschrieben am: Dienstag 05.01.1841
 

Paris. 5/1 41.
Herzlichen Wunsch zum neuen Jahre, werther Freund, und besten Dank für Ihren freundlichen Brief, auf dessen Beantwortung ich nun auch gleich ohne Weiteres eingehen will. Der Antrag für Ihre Zeitung thätig zu sein, ist mir durchaus willkommen, und wenn auch meine Zeit durch Arbeiten anderer Art diesen Winter mehr als bisher in Anspruch genom¬men ist, so denke ich immer davon noch so viel erübrigen zu können, um Ihnen mehr oder weniger zu genügen. Unsere Ansichten über Musik sind ferner im Wesentlichen wie ich glaube übereinstimmend und so wäre auch von dieser Seite kein Hinderniß vorhanden. Über einen einzigen Punkte bin ich in Zweifel und diesen wünsche ich zu vörderst mit Ihnen zu besprechen. Sie kennen, ohne hier gewesen zu sein, das hiesige musikali¬sche Treiben hinlänglich um zu wissen, wie wenig Gutes und |2| wieviel Schlechtes davon zu sagen ist und nun fragt es sich ob Ihr Verhältnis und Ihre Stellung die Aufnahme von Berichten erlaubt, die sich von den an¬deren dadurch unterscheiden sollen, dass sie nicht den Stempel der Cote¬rie und Clique tragen. Sie sind Mitarbeiter der beiden hier erscheinenden musik. Zeitungen und als solcher wohl gehalten alle Angriffe auf diese Blätter, so verdient und gerecht jene auch sein mögen, zurückzuweisen, ja Schlesinger, den ich Ihnen wohl nicht nöthig habe näher zu qualifiziren, geht noch weiter und verlangt von seinen Mitarbeitern daß sie seine Publi¬cationen nicht nur nicht angreifen, sondern unbedingt loben, und er wird Ihnen die Ausfälle auf Meyerbeer nie verzeihen.
Denke ich ferner z. b. an Berlioz, der wohl einmal einer ausführli¬chen Besprechung werth wäre, so finde ich gleichfalls in Ihrer Stellung zu ihm ein Hinderniß für ein unpartheiisches Urtheil, was ihn keineswegs so unbedingt anerkennen dürfte, wie es seine Verehrer hier wollen. Was Ihnen Heller über B. geschrieben ist so zu sagen nur die Hälfte seiner Meinung, er hat gelobt was zu loben war, über das, was ihm nicht gefallen, mußte er schweigen; er ist |3| leider durch seine precaire Stellung dazu gezwungen mit den Wölfen zu heulen, und wenn Berlioz, Kastner, etc einige günstige Worte über ihn haben drucken lassen, so kommen sie wie Caspar und schreien ihm zu: glaubst du dass dieser Artikel dir geschenkt sei? und quälen und plagen den Armen so schrecklich dass er endlich um aus ihren Krallen zu kommen sich zum Gegendienste verstehen muß, und wehe ihm wenn dieser nicht so ausfällt wie ihn die verblendete Eitelkeit geträumt. Berlioz namentlich ist gegen den leisesten Tadel ungemein emp¬findlich, er verlangt unbedingte Anerkennung und ein Wort der Rüge lässt ihn seitenlanges Lob vergessen.
Durch diese und ähnliche nach allen Seiten sich ausbreitende Rück¬sichten, durch solche Kunst – oder vielmehr Künstlergriffe, ist die ge¬sammte Kritik allhier in Fesseln geschlagen und die Wahrheit unmöglich gemacht. Oder haben Sie es etwa dem letzten Bericht über die Favorite entnehmen können dass sie das elendeste Machwerk von der Welt ist? Berlioz aber steht wegen einer zu componirenden Oper mit der Direction in Unterhandlung und darf folglich nicht gegen dieselbe auftreten, um es nicht mit ihr zu verderben. – So finden Sie in der Schlesing. Zeitung, die Donizetti bei Gelegenheit der Martyrs angegriffen, nun |4| ganz anders lautende Artikel, denn Sch. hat die Oper gekauft.
Diese wenigen Angaben werden genügen Ihnen eine Idee zu geben von der Beschaffenheit der Kritik und der Kunst selbst. Von dem Stande der letzteren ein Bild zu geben, soll nun doch aber Gegenstand der zu sendenden Artikel sein, denen ich mir bewußt bin keinen anderen Werth als den der Wahrheit geben zu können und es fragt sich nur wie weit Sie derselben Ihre Spalten öffnen können und wollen, worüber ich mir Ihre Antwort ergebenst ausbitte. Glauben Sie nicht dass ich zu denen gehö¬re die im Tadeln ihr Vergnügen finden, aber es gibt Dinge, wo mir jede Transaction und unzeitige Schonung wie Verrath an unserer herrlichen Kunst scheint und somit als unzulässig betrachten werden muß.
Heller, dem Ihr Schweigen sehr empfindlich ist, grüßt Sie herzlich, sowie mein Bruder; da diese beiden die Einzigen sind und bleiben sollen, die von unserer Correspondenz wissen, so habe ich Ihre übrigen Grüsse nicht bestellen können. Leben Sie wohl, lieber Freund, empfehlen Sie mich angelegentlichst Ihrer lieben Frau und schreiben Sie bald
Ihrem ganz ergebenem
Albert Franck.
12. rue Choiseul.

  Absender: Franck, Albert (471)
  Absendeort: Paris
  Empfänger: Schumann, Robert (1455)
  Empfangsort:
  Schumann-Briefedition: Serie: II / Band: 22
Robert und Clara Schumann im Briefwechsel mit Korrespondenten in Dresden / Editionsleitung: Thomas Synofzik und Michael Heinemann / Herausgeber: Carlos Lozano Fernandez und Renate Brunner / Dohr / Erschienen: 2021
ISBN: 978-3-86846-032-2
390-393

  Standort/Quelle:*) PL-Kj, Korespondencja Schumanna, Bd. 11 Nr. 1792
 
*) Die Auflösung der Kürzel für Bibliotheken und
Archive finden Sie hier: Online Directory of RISM Library Sigla
 
 



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