Liebe, verehrte Freundin
Ich zehre noch immer an den musikalischen Hochgenüßen die ich Ihrer treuen Freundschaft verdanke und muß Ihnen noch einmal sagen, wie sehr Sie mich dadurch beglückt und wie so sehr dankbar ich Ihnen bin. Nun wünsche ich aber vor allen Dingen, daß Sie und die liebe Marie recht wohl sind und daß Sie von allen Kindern die besten Nachrichten haben, damit Ihr Ausruhen bei Ihrer lieben Freundin auch wirklich ein rechtes Ausruhen werde, zumal Sie ja so viel Kräfte zur neuen Campagne brauchen. Haben Sie fleißig in Hautpmann’s Briefen gelesen? Es ist Ihnen vielleicht unangenehm aufgefallen, daß er so wenig von Robert sagt, aber sie dürfen ihm das nicht übel nehmen, hat er doch bis zuletzt den späteren Schöpfungen Beethovens keinen rechten Geschmack abgewinnen können und so wie er eigentlich nur Mozart gelten läßt, so war ihm auch Mendelssohn Sympathischer als Schumann – das lag einmal in seiner Natur – deshalb kann man ihm aber nicht gram sein, ganz im Gegentheil muß man den stillen, bescheidenen und doch so eminent tüchtigen Mann lieb gewinnen! Mir hat das Lesen dieser Briefe einen großen Genuß gewährt – vielleicht erfahre ich einmal, wie Sie darüber denken? Gewiß hat auch Sie der Tod des guten Vetters Pfundt betrübt – es ist das ein für unser Orchester schwer zu ersetzender Verlust und um so unbegreiflicher ist’s, daß sich vom Directorium Niemand beim Begräbniß betheiligte! Meine Kinder und Enkel sind unberufen! Alle munter und freuen sich auf das nahende Fest – möge nur bei meiner guten Helene, die gerade in diesen Tagen ihrer Entbindung entgegen sieht, Alles glücklich vorüber gehen. – Und nun laßen Sie sich die beifolgende vaterstädtische Stolle recht gut schmecken und seien auf’s Herzlichste begrüßt von
Ihrem
dankbar ergebenen
Voigt
Weihnachten 1871
Für Ihre treue Reisebegleiterin füge ich ein Büchlein voll ganz köstlicher Gedichte bei, von denen auch Sie sich wohl mal eins oder das andere in stiller Stunde vorlesen laßen.
Ich bitte mich Fräul. Lesser hochachtungsvoll zu empfehlen
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